Rückblick

Zurück ins Licht.

Vier Künstlerinnen – Ihre Werke. Ihre Wege. Finissage am 29. Mai 2023 / 25.11.2022 - 29.05.2023

Das Jüdische Museum Frankfurt präsentiert in dieser Ausstellung vier Frankfurter Künstlerinnen, die heute beinahe vergessen sind.

Sie gehörten zu den ersten Frauen, die in Frankfurt als Künstlerinnen Erfolge feierten: Erna Pinner, Rosy Lilienfeld, Amalie Seckbach und Ruth Cahn. In den wilden 1920er Jahren prägten diese jüdischen Frauen die Kunstszene Frankfurts, publizierten und stellten international aus, pflegten eine kosmopolitische Lebensweise und behaupteten sich neben ihren männlichen Kollegen. Die Machtübernahme der Nationalsozialisten bereitete ihren Karrieren ein Ende. Sie wurden als Jüdinnen verfolgt, ihre Werke verfemt – und nach Ende des Zweiten Weltkriegs vergessen. Die Ausstellung "Zurück ins Licht" holt sie nun endlich wieder an die Öffentlichkeit.

Den Ausgangspunkt der Ausstellung bildet ein Artikel der Kunsthistorikerin Sascha Schwabacher aus dem Frankfurter Israelitischen Gemeindeblatt im Mai 1935. Darin erinnert sie sich an ihre Besuche in den Ateliers der vier Künstlerinnen und beschreibt deren Persönlichkeiten – zu einer Zeit, da diese Frauen aufgrund der nationalsozialistischen Verfolgung nur noch begrenzte Arbeitsmöglichkeiten in Deutschland hatten. Die Ausstellung zeichnet diese vier Atelierbesuche nach. Dabei macht sie die Kunstszene Frankfurts der 1920-Jahre ebenso erfahrbar wie den Bruch, den die nationalsozialistische Herrschaft für das Leben und Werk der vier Künstlerinnen bedeutete.

Begleitprogramm (PDF)

Frankfurt in den 1920er Jahren

Gemälde von Ruth Cahn, Bethmann-Weiher, Frankfurt am Main, vor 1929
Ruth Cahn, Bethmann-Weiher, Frankfurt am Main, vor 1929, Aquarell auf Papier Städtische Kunstsammlung, Kulturamt Frankfurt am Main

Frankfurt war in den 1920er Jahren eine pulsierende Großstadt mit regem Kulturleben. Dieses macht die Ausstellung gleich zu Beginn erfahrbar: Die 1914 eröffnete Stiftungsuniversität und das 1923 gegründete Institut für Sozialforschung waren Zentren des kulturellen Aufbruchs nach dem Ersten Weltkrieg. Das Schauspiel Frankfurt gewann weit über die Stadtgrenzen hinaus an Bedeutung. Am Freien Jüdischen Lehrhaus fanden junge jüdische Intellektuelle und Kunstschaffende ein geistiges Zuhause. Im wohlhabenden Westend mit seinen Kunstsalons renommierter Sammler*innen trafen sich Kunstjournalist*innen sowie andere Akteur*innen der Kulturszene.

An der Städelschule wurden junge Künstler*innen bei namhaften Lehrenden wie Max Beckmann und Ugi Battenberg ausgebildet. Das „geistige“ Frankfurt wurde geprägt von Persönlichkeiten wie dem Städeldirektor Georg Swarzenski (1876 – 1957), dem Publizisten und Leiter des Feuilletons der Frankfurter Zeitung Benno Reifenberg (1892 – 1970) sowie weiteren Künstler*innen, die sich für jüngere Kolleg*innen einsetzten, etwa Jakob Nussbaum (1873 – 1936) und Ottilie W. Roederstein (1859 – 1937). Galerien wie die 1921 eröffnete Niederlassung der Galerie Flechtheim sowie die Galerie Ludwig Schames boten herausragenden Künstler*innen die Möglichkeit, öffentlich wahrgenommen zu werden.

Künstlerinnenausbildung und "Neue Frau"

Gemälde von Ruth Cahn: Frau im lila Kleid (Porträtstudie),
Ruth Cahn, Frau im lila Kleid (Porträtstudie), 1920er Jahre, Öl auf Leinwand, Privatsammlung M. Kopp

Während Frauen in Deutschland bis 1919 keinen Zugang zu Kunstakademien hatten, wurde am Städelinstitut schon 1869 ein erstes Damenatelier eingerichtet. Ab 1900 standen den Kunststudentinnen im Städel die Meisterateliers aller lehrenden Professoren offen und die Stadt entwickelte eine Strahlkraft für die künstlerische Ausbildung von Frauen. Hierfür stehen Namen wie Ottilie W. Roederstein mit ihrem Atelier am Städelinstitut oder Louise Schmidt. Letztere leitete am Städel das "Meisteratelier für Damen in der Bildhauerei" und war damit die erste weibliche Lehrende an einer öffentlichen Kunstschule in Deutschland.

Die Öffnung der künstlerischen Ausbildung fiel zusammen mit der "neuen Frau". Dieser neue Frauentyp spiegelte Emanzipation, das Aufweichen fest gefügter Rollenbilder, Stimmrecht bei Wahlen sowie Berufstätigkeit wider. Bilder von Frauen mit maskulinem Kurzhaarschnitt, dem "Bubikopf", Hängekleidern und neuen Fahrzeugen wurden zum Inbegriff der Fortschrittlichkeit.

Amalie Seckbach (1870 Hungen – 1944 Theresienstadt)

Foto der Frankfurter Künstlerin Amalie Seckbach (1870-1944)
Wir suchen nach Werken der Frankfurter Künstlerin Amalie Seckbach (1870-1944)

Amalie Seckbach war 1902 mit ihren Eltern aus dem hessischen Hungen nach Frankfurt am Main gezogen. Sie hatte, inspiriert durch fernöstliche Philosophie und Religion, eine Sammlung chinesischer Farbholzschnitte aufgebaut, die in Fachkreisen schon Anfang des 20. Jahrhunderts hochgelobt wurde. Erst im Alter von 52 Jahren, nach dem Tod ihres Mannes, dem Architekten Max Seckbach (1866-1922), begann sie als Malerin und Bildhauerin zu arbeiten. 

Ihre Plastiken stellte sie bereits 1929 in einer Ausstellung mit James Ensor (1860-1949) im Musée des Beaux-Arts aus und nahm in Paris an Ausstellungen im Salon des Indépendants teil. Ab 1933 konnte sie in Deutschland nur noch beim Jüdischen Kulturverein oder im Ausland ausstellen, bspw. 1936 am The Art Institute of Chicago. 1941 beschloss Amalie Seckbach Deutschland zu verlassen, wurde jedoch im September 1942 verhaftet und in das Konzentrationslager Theresienstadt deportiert. Hier malte sie mit den ihr zur Verfügung stehenden Mitteln weiter, starb jedoch im August 1944 an den Folgen der Inhaftierung.

Erna Pinner (1890 Frankfurt a.M. – 1987 London)

Erna Pinner ist die bekannteste der hier vorgestellten Künstlerinnen und erscheint als Inbegriff der „neuen Frau“. An der Seite ihres Partners, dem Schriftsteller Kasimir Edschmid, erkundete sie auf ausgedehnten Reisen die Welt und gelangte zu Berühmtheit.

Sie studierte zunächst in Frankfurt am Städelschen Kunstinstitut, später bei Lovis Corinth in Berlin sowie an der Akademie Ranson in Paris. Mit Ausbruch des Ersten Weltkriegs kehrte sie nach Frankfurt zurück und stellte bei Ludwig Schames und später in der Galerie Flechtheim aus.

In den 1920er Jahren gewann sie öffentliche Anerkennung mit Werken wie „Das Schweinebuch“ (1922), „Eine Dame in Griechenland“ (1927) und „Ich reise um die Welt“ (1931). In den Büchern entwickelte sie einen eigenständigen grafischen Illustrationsstil mit präziser und eleganter Linienführung und machte Gesehenes und Erlebtes zusammen mit dem Text darin spürbar.

Nach ihrer Emigration nach London 1935 entwickelte sie einen neuen Stil der naturwissenschaftlichen Illustration, in dem sie mit fast fotografischer Detailtreue Volumen, Proportionen und Texturen wiedergeben konnte. Sie studierte Zoologie und belegte Grafikkurse. Ihre Publikationen nach dem Krieg beschäftigen sich mehr und mehr mit der Geschichte biologischer Arten.

Wir präsentieren erstmals Zeichnungen und Fotografien, die bislang noch unbekannt waren und neue Einblicke in ihr Leben und Schaffen ermöglichen.

Ruth Cahn (1875 Frankfurt am Main - 1966 Frankfurt am Main)

1875 wurde Amalie Leontine Cahn in Frankfurt am Main geboren; über die Grenzen der Stadt hinaus wurde sie als Ruth Cahn bekannt. Ihre künstlerische Ausbildung absolvierte sie in München, Barcelona und vor allem bei dem Fauvisten Kees van Dongen in Paris. In den 1920er Jahren waren ihre Bilder in den Frankfurter Kunsthandlungen H. Trittler und Ludwig Schames zu sehen. Die Galeries Dalmau in Barcelona, die auch den damals noch unbekannten Künstlern Joan Miró und Salvador Dalí ihre ersten Ausstellungen ermöglichte, zeigte 1924 Ruth Cahns Bilder in einer Einzelausstellung.

1935 wanderte die Malerin nach Chile aus. Ihre Familie wurde über Spanien, die Schweiz und Südamerika zerstreut. Sie kehrte 1953 erst nach Barcelona und 1961 schließlich nach Frankfurt zurück, wo sie 1966 starb. Der größte Teil ihres Werkes hat die Wirren des Zweiten Weltkrieges und des Spanischen Bürgerkriegs nicht überstanden und gilt heute als verschollen.

Rosy Lilienfeld (1896, Frankfurt – 1942, Auschwitz)

Die größte Entdeckung dieser Ausstellung dürfte Rosy Lilienfeld sein. Sie wurde am 17. Januar 1896 in Frankfurt am Main geboren. Die Familie lebte im wohlhabenden Westend. Anfang der 1920er Jahre studierte sie am Städelschen Kunstinstitut bei dem Maler Ugi Battenberg und verfügte über ein Atelier im Sachsenhäuser Malerviertel, das ihr die Kunstschule bis zur Kündigung des Mietvertrages 1936 vermietete. Ab 1933 war Lilienfeld erwerbslos und konnte die Ateliermiete nicht mehr bezahlen. Im Juli 1939 stellte die Mutter einen Antrag auf Ausreise nach England, ihre Flucht führte sie jedoch in die Niederlande. Rosy Lilienfelds Spuren führen nach Rotterdam und Utrecht, die ihrer Mutter waren bis vor Kurzem unbekannt. Im Zuge der Recherchen zur Ausstellung haben wir  festgestellt, dass Lilienfelds Mutter in einem katholischen Stift überlebt hat. Rosy Lilienfeld wurde 1942 in Utrecht festgenommen, ins Lager Westerbork und von dort nach Auschwitz deportiert, wo sie nur wenige Wochen später ermordet wurde.

In unserer Sammlung befinden sich etwa 200 Tusche- und Kohlezeichnungen sowie einige Druckgrafiken der Künstlerin. Rund die Hälfte dieser Werke erwarb das Jüdische Museum bereits in den 1990er Jahren im Kunsthandel. Größtenteils handelt es sich um Landschaften und Frankfurter Stadtansichten, entstanden Mitte der 1920er-Jahre in einem expressionistischen Stil. Lilienfelds Bilder vermitteln teilweise eine Atmosphäre des Unbehagens und wirken fast alptraumhaft. Ihre Begeisterung für die chassidischen Legenden inspirierte die Künstlerin zu einer Vielzahl von Werken zu ostjüdischen Erzählungen. Sie reiht sich damit auf ihre Weise in die chassidische Erzähltradition ein, die bis heute fast ausschließlich durch männliche Vertreter geprägt ist. Im Sinne der Jüdischen Renaissance transportierte sie die Legenden des Baal Schem ins 20. Jahrhundert und erweiterte sie um eine bildliche Ebene.

Zeitgenössische Auseinandersetzung: Elianna Renner

Elianna Renner neben ihrer Videoinstallation in der Ausstellung "Zurück ins Licht"
Elianna Renner neben ihrer Videoinstallation

Die Ausstellung mündet in eine eigens geschaffene multimediale Installation der zeitgenössischen Künstlerin Elianna Renner. Sie arbeitet an der Schnittstelle von Biografie und Geschichte und wurde vom Jüdischen Museum Frankfurt eingeladen, sich mit den Lebensgeschichten von Amalie Seckbach und Ruth Cahn auseinanderzusetzen. Ihre Arbeit Re·per·toire erkundet lose Fragmente im künstlerischen Schaffen von Ruth Cahn und Amalie Seckbach. Die Arbeit entwickelt Bildräume, die Einblicke in die Auseinandersetzung über Leben, Kunst und Legendenbildung von Künstlerinnen im letzten Jahrhundert bis heute ermöglichen.

Bei einem Artist Talk mit Kuratorin Dr. Eva Atlan am Donnerstag, 8. Dezember um 19.30 Uhr stellt die Künstlerin ihre Arbeit eingehender vor. Weitere Infos und Anmeldung

Für Lehrerkräfte und Schulklassen

Für Schulklassen haben wir eigens zwei Workshops für den Ausstellungsbesuch konzipiert. Mit Klassen 3-6 erforschen wir die Ausstellung im Rahmen eines Kunstworkshops, bei dem die teilnehmenden Kinder ihre eigenen Postkarten gestalten. Für Schulklassen ab Klasse 9 bis Oberstufe nehmen wir die Ausstellung zum Anlass, um sich mit der Zeit des Nationalsozialismus und beispielhaft den vier Künstlerinnenbiografien auseinanderzusetzen. Weitere Infos finden Sie in diesem Flyer.

Für Lehrerkräfte bieten wir am 7. Februar um 15 Uhr eine Fortbildung an. Dabei erhalten Sie eine Kuratorinnen-Führung durch die Ausstellung. Im Anschluss stellen wir ihnen das pädagogische Begleitprogramm vor. Dauer: 1,5 Stunden. Die Teilnahme ist kostenfrei. Anmeldung unter: besuch.jmf@stadt-frankfurt.de

Sammlungsaufruf

Wir suchen nach weiteren Informationen über diese vier Künstlerinnen und nach ihren Werken. Wenn Ihnen solche bekannt sind, nehmen Sie bitte Kontakt mit uns auf! Ansprechpartnerin: eva.atlan@stadt-frankfurt.de 

Kuratorin: Dr. Eva Atlan
Co-Kurator*innen: Annika Friedman, Dennis Eiler

Katalog

Der Katalog zur Ausstellung erscheint pünktlich zur Eröffnung im Kerber Verlag. Mit freundlicher Unterstützung des Kulturfonds RheinMain.

Cover des Ausstellungskatalogs

Öffentliche Führungen

Jeden Donnerstag um 18 Uhr und sonntags um 11 Uhr bieten wir öffentliche Führungen durch die Ausstellung an. Die Teilnahme ist im Museumseintritt inbegriffen. Bitte melden Sie sich bis spätestens werktags, 12 Uhr, vor dem gewünschten Termin an. Kontakt: besuch.jmf@stadt-frankfurt.de. Die Anmeldung ist erst gültig, wenn Sie eine Bestätigung per Mail erhalten haben.

Online- und Sonderführungen durch die Ausstellung

Finissage am 29. Mai

Am 29. Mai feiern wir die Finissage der Ausstellung mit mehreren Führungen, Livemusik und einer Performance. Weitere Informationen finden Sie hier.

Gefördert durch

Ausstellungsort:
Jüdisches Museum Frankfurt

Heute geöffnet: 10:00 – 17:00

  • Museumsticket (Dauerausstellung Jüdisches Museum+Museum Judengasse) regulär/ermäßigt
    12€ / 6€
  • Kombiticket (Wechselausstellung + Museumsticket) regulär/ermäßigt
    14€ / 7€
  • Wechselausstellung regulär/ermäßigt
    10€ / 5 €
  • Familienkarte
    20€
  • Frankfurt Pass/Kulturpass
    1€
  • Am letzten Samstag des Monats
    Frei
  • (ausgenommen Teilnehmer gebuchter Führungen)

  • Eintritt nur Gebäude (Life Deli/Museumshop/Bibliothek)
    Frei
  •  

  • Freien Eintritt genießen:

  • Mitglieder des Fördervereins

  • Geburtstagskinder jeden Alters

  • Kinder und Jugendliche bis 18 Jahre

  • Studenten der Goethe-Uni / FH / HfMDK

  • Geflüchtete

  • Inhaber von Museumsufer-Card oder Museumsufer-Ticket

  • Inhaber der hessischen Ehrenamts-Card

  • Mitglieder von ICOM oder Museumsbund

  •  

  • Ermäßigung genießen:

  • Studenten / Auszubildende (ab 18 Jahren)

  • Menschen mit Behinderung ab 50 % GdB (1 Begleitperson frei)

  • Wehr- oder Zivildienstleistende / Arbeitslose

  • Inhaber der Frankfurt Card

Link zum Standort Link zum Standort

Bertha-Pappenheim-Platz 1, 60311 Frankfurt am Main

Routenplaner