Kibbuz Nir Oz und Kibbuz Be’eri – der Name dieser beiden Kibbuzim (Plural von Kibbuz, hebräisch für Versammlung) symbolisiert das Trauma, das die israelische Gesellschaft am 7. Oktober 2023 erlitten hat. In beiden landwirtschaftlichen Kommunen lebten Menschen, die die sozialistische Utopie des israelischen Staats in seinen Gründungsjahren in die Tat umsetzten und sich im besonderen Maße für Verständigung mit ihren palästinensischen Nachbarn in Gaza einsetzten. Sie wurden Opfer des brutalen Massakers von Hamas, das in Nir Oz etwa 20 Personen und in Bee’ri mehr als 120 Menschen das Leben kostete. Viele Mitglieder beider Kibbuzim wurden als Geiseln in den Gaza-Streifen verschleppt, ihr vormaliges Zuhause systematisch zerstört.
Als Reminiszenz an den Kibbuz Nir Oz zeigt das Jüdische Museum Frankfurt ab Mittwoch, 6. Dezember, im Raum „Kunst und Exil“ der Dauerausstellung den Film „The Line and the Circle“ (2009, 19 Min.) der preisgekrönten Künstlerin und Filmemacherin Sharone Lifschitz. Der Film ist in der Dunkelkammer von Nir Oz entstanden, wo Lifschitz aufgewachsen ist. Er präsentiert historische Aufnahmen, die die Mutter der Künstlerin, die 85-jährige Yocheved Lifschitz, als junge Chaluza (Pionierin) von den Anfangsjahren des Kibbuz gemacht hat. Während die Fotografien in der Dunkelkammer langsam an Kontur gewinnen, unterhalten sich Mutter und Tochter über ihre eigene Geschichte und die des Kibbuz‘. Yocheved Lifschitz befand sich in der Geiselhaft von Hamas und wurde mittlerweile freigelassen, ihr Mann Oded Lifschitz (83 Jahre), der Vater der Künstlerin, ist noch immer entführt.
Zum Auftakt der Ausstellung präsentieren die in Israel geborenen Künstler Nir Evron und Omer Krieger ihren Film „Rehearsing The Spectacle of Spectres“ („Bei der Probe zum Drama seiner Visionen“) aus dem Jahr 2014. Dieser führt in den mittlerweile zerstörten Speisesaal von Kibbuz Be’eri, wo Mitglieder eine Performance zu dem Gedicht „The Spectacle of Spectres“ einstudieren. Es stammt vom Lyriker Anadad Eldan, der 1924 in Polen zur Welt gekommen ist und das Massaker am 7. Oktober 2023 im Kibbuz Be’eri überlebt hat. Die einmalige Filmpräsentation am Eröffnungsabend ergänzt die Filmpräsentation in der Dauerausstellung des Museums.
Zu Beginn des Abends liest die Schauspielerin Sarah Grunert Auszüge aus dem Text „Wie man nach einem Massaker humanistisch bleibt in 17 Schritten“ von Maya Arad Yasur. Die bekannte israelische Dramatikerin hat diesen Text in unmittelbarer Reaktion auf den 7. Oktober verfasst und mit der in Israel geborenen Regisseurin Sapir Heller eine Idee für dessen performative Inszenierung entwickelt, die am 4. Januar 2024 im Schauspiel Frankfurt zu sehen sein wird.
Im Anschluss an die Lesung und die Filmvorführung unterhalten sich Sapir Heller, Nir Evron und Omer Krieger mit Mirjam Wenzel, Direktorin des Jüdischen Museums Frankfurt, über den Zusammenhang zwischen Kunstproduktion, Kollektivität und Trauma. Dabei werden auch aktuelle Fragen zur Sprache kommen wie etwa: „Was zeichnete das Leben in den Kibbuzim aus?“ und „Was kann die Aufgabe von Kunst angesichts des 7. Oktober sein?“. Sollten die Umstände es zulassen, wird Sharone Lifschitz live per Zoom zugeschaltet, um über die jetzige Situation und den Kibbuz Nir Oz zu sprechen.
Das Gespräch findet in englischer Sprache, die Lesung in deutscher Sprache statt. Beide Filme sind mit deutschen Übersetzungen versehen. Wir bitten um Anmeldung zur Eröffnungsveranstaltung per E-Mail an besuch.jmf@stadt-frankfurt.de.
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