5 Fragen an Erik Riedel

...Ausstellungskurator von „Ausgeblendet / Eingeblendet“
18. Dezember 2023Sara Nasraty

Erik Riedel, Co-Kurator unserer aktuellen Wechselausstellung „Ausgeblendet / Eingeblendet. Eine jüdische Filmgeschichte der Bundesrepublik“, ist Ausstellungsleiter am Jüdischen Museum Frankfurt und Kurator für den Bereich Bildende Kunst einschließlich des Ludwig Meidner-Archivs. Wir haben ihm 5 Fragen zur Schau gestellt – viel Freude beim Lesen!

Lieber Erik, die Ausstellung „Ausgeblendet / Eingeblendet“ fasziniert ein breites Publikum. Wie seid Ihr auf die Idee zur Schau gekommen?

Eigentlich ist die Ausstellung zu uns gekommen. Es gibt nämlich seit einigen Jahren ein Forschungsnetzwerk „Deutsch-jüdische Filmgeschichte“, das von der Deutschen Forschungsgemeinschaft gefördert wurde. Aus diesem Netzwerk heraus wurde von Lea Wohl von Haselberg von der Filmuniversität Babelsberg KONRAD WOLF gemeinsam mit Johannes Praetorius-Rhein vom Institut für Theater-, Film- und Medienwissenschaften der Goethe-Universität Frankfurt die Idee entwickelt, die Forschungsergebnisse gebündelt in einer Ausstellung zu präsentieren. Sie haben die Ausstellung dann auch kuratiert und den wirklich sehr lesenswertenKatalog betreut.

Wie lange hat der Prozess bis zur Eröffnung gedauert und welche Herausforderungen gab es bei der Umsetzung?

Von der ersten Vorstellung des Konzepts durch Lea und Johannes bis zur Ausstellungseröffnung hat es über drei Jahre gedauert. Das hört sich nach einem sehr langen Zeitraum an, aber eine so umfangreiche kulturhistorische Ausstellung basiert eben auf aufwändigen Recherchen in Museen und Archiven, aber auch bei Privatleuten. Unser Betrachtungszeitraum ist ja die bundesrepublikanische Nachkriegszeit, und einige der Protagonist*innen sind noch am Leben.

Dabei haben wir auch immer wieder über das Konzept diskutiert. Beispielsweise haben wir uns gefragt, ob wir die Filmgeschichte der DDR nicht einbeziehen sollten. Wir haben uns aber letztlich, trotz zahlreicher guter Gründe, die dafürsprechen, dagegen entschieden, weil die Strukturen der Filmindustrie in der DDR so fundamental verschieden waren und auch die Handlungsspielräume der Akteure durch ganz andere politische und gesellschaftliche Rahmenbedingungen definiert wurden.

Dann musste das Film- und Fotomaterial besorgt und die entsprechenden Rechte eingeholt werden. Außerdem musste eine Gestaltungsidee für die Präsentation entwickelt werden. Die zentralen Exponate sind ja Filme und es war für uns als Jüdisches Museum durchaus Neuland mit diesem Medium eine komplette Ausstellung zu bespielen.

Glücklicherweise haben die Gestalter von KatzKaiser dafür eine wirklich brillante Lösung gefunden, nicht nur originell und ästhetisch ansprechend ist, sondern auch nachhaltig. Die Räume sind nämlich durch mit Textilien bespannte Baugerüste gegliedert, und da die Gerüste wiederverwendet werden, haben wir in dieser Ausstellung einen vergleichsweise geringen Materialverbrauch.

Hast Du bei der Auseinandersetzung mit dem Thema etwas gelernt, dessen Dimension Dir zuvor nicht klar war und das Dich deshalb überraschte?

Wo soll ich da denn anfangen? Ich komme aus der Kunstgeschichte und Geschichte und habe mich nicht sonderlich intensiv mit Filmgeschichte beschäftigt. Als es während meines Studiums bei den Kunsthistorikern einmal ein Seminar zum russischen Avantgardefilm gab, war das die absolute Ausnahme, damals waren die Forschungsdisziplinen viel weniger durchlässig als heute. Also, ich bin wirklich kein Filmexperte und habe sehr viel über das Thema und die Regisseur*innen, Schauspieler*innen und Produzent*innen gelernt, die in der Ausstellung vorkommen.

Besonders hat mich überrascht, wie gut sich in der Filmgeschichte die Sichtbarkeit von Jüdischsein abbildet: in den 1950er und 1960er Jahren wird auf jüdische Herkunft in der Öffentlichkeit nur verdeckt hingewiesen, da wird das Exil euphemistisch verbrämt zur Auslandskarriere.

In den 1970er Jahren gibt es dann schon „sichtbare“ Jüdinnen und Juden auf Leinwand und Bildschirm, allerdings werden alle Bezüge zur Schoa ausgeblendet. Das hat sich erst nach der Ausstrahlung der Fernsehserie „Holocaust“ geändert, als dann eine sehr viel intensivere und offenere Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus einsetzte. In den 1980er Jahren begann dann für viele jüdische Filmschaffende ein Balanceakt dazwischen, die eigene Identität und jüdische Herkunft in ihre Arbeit einbringen zu wollen und andererseits nicht auf jüdische Themen, insbesondere die Schoa reduziert zu werden.

Welche Relevanz hat die Ausstellung für die heutige Zeit?

Diese Frage beantwortet eigentlich die Videoinstallation sehr sprechend, die wir der Ausstellung vorangestellt haben. Hier sprechen zeitgenössische Filmschaffende – die Produzentin Alice Brauner, der Schauspieler Samuel Finzi, die Regisseur*innen Dani Levi und Jeanine Meerapfel, und viele andere – darüber, wie relevant ihr Jüdischsein für Ihre Arbeit ist. Interessant ist dabei, dass fast alle über ein Spannungsfeld von Selbst- und Fremdwahrnehmung reden. Also es wird in den Interviews schon sehr deutlich, dass sich die jüdische und die nichtjüdische Wahrnehmung der politischen und sozialen Wirklichkeit in Deutschland immer noch teilweise erheblich unterscheidet.

Was ist Dein persönliches Highlight der Ausstellung?

Natürlich gibt es eine ganze Reihe von Highlights in der Ausstellung – von einer Originalkamera der CCC-Studios über das Bambi von Marcel Reich-Ranicki bis hin zu Requisiten aus „Der Passagier“ von Thomas Brasch. Ich habe mir in der Ausstellung auch ein paar Ohrwürmer geholt und ertappe mich immer wieder dabei, wie in meinem inneren Ohr Lilli Palmer und Esther Ofarim zu singen anfangen.

Den nachhaltigsten Eindruck hat aber vielleicht der im Frühjahr verstorbene Regisseur Peter Lilienthal hinterlassen. In der Ausstellung zeigen wir von ihm einen Ausschnitt aus dem Fernsehspiel „Striptease“ von 1963, das auf einem absurden Theaterstück von Sławomir Mrożek basiert. Die absurde Handlung, bei der eine Hand zwei in einem Raum gefangenen Männern stumme Befehle erteilt, der diese letztlich widerstandslos gehorchen, lässt sich als Parabel auf den sozialistischen Staat lesen. Aus der jüdischen Perspektive des Regisseurs kann der Film aber auch als Kommentar auf den Nationalsozialismus interpretiert werden.

Mit Lilienthals „David“ (1979) haben wir im Kino des DFF im Begleitprogramm zur Ausstellung einen frühen Film zur Schoa gezeigt, der konsequent aus einer jüdischen Perspektive heraus erzählt. Dieser Film ist deswegen so eindringlich, weil er das Leiden und die Traumatisierung durch die Verfolgung thematisiert und dabei sowohl auf reißerische Gewaltdarstellung auf jegliche Heroisierung der Opfer verzichtet.

Danke, lieber Erik!

Wer Ausgeblendet / Eingeblendet einen Besuch abstatten möchte, kann dies noch bis Sonntag, 14. Januar 2024, tun. Wir freuen uns auf Euren Besuch!

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