Gebäude im Baumweg Frankfurt, in dem sich heute eine Synagoge befindet. Foto von 1947

Wahl des ersten Jüdischen Gemeinderats nach 1945

Ein wichtiger Schritt zur Wiedergründung einer Jüdischen Gemeinde in Frankfurt
Porträt von Heike Drummer
18. Januar 2022Heike Drummer

Heute vor 75 Jahren, am 19. Januar 1947, wurden entscheidende Weichen gestellt zur Wiedergründung der Jüdischen Gemeinde Frankfurt. Das war nach der Schoa und der Auslöschung jüdischen Lebens in Frankfurt alles andere als selbstverständlich, und es sollte auch noch mehr als zwei Jahre dauern, bis es im April 1949 endlich soweit war.

Frankfurter Römerberg 1945
Nach der Befreiung: Amerikanischer Jeep auf dem Frankfurter Römer, 1945. Dauerleihgabe von Abraham de Wolf.

Am 26. März 1945 überquerten US-amerikanische Truppen von Süden kommend den Main. Trotz heftiger physischer und propagandistischer Gegenwehr der „Frontstadt“ wurde Frankfurt innerhalb von drei Tagen befreit. Für diese Zeit verzeichnete die amtliche Statistik etwa 260.000 Einwohner*innen. Einige wenige als jüdisch verfolgte Personen – meist Angehörige aus konfessionell gemischten Verbindungen – schloss diese Erhebung mit ein. Enthumanisiert hatten sie in »Ghettohäusern« oder im Versteck politische Willkür und Verfolgung, Ausplünderung, soziale Gleichgültigkeit, Befehle zur Deportation, gezieltes Aushungern und Bombenangriffe überlebt. Die exakte Zahl ist nicht bekannt; wir gehen heute von 100 bis 200 Frauen, Männern und Kindern aus.

Rückkehr deportierter und geflohener Frankfurter*innen

Rabbiner Leopold Neuhaus, 1947
Rabbiner Leopold Neuhaus, 1947

Nur wenige der mehr als 10.000 ab 1941 aus der Stadt deportierten Jüdinnen und Juden kehrten mit Hilfe von Militärbehörden und Stadtverwaltung aus den Lagern nach Frankfurt zurück; sie waren krank und entkräftet, viele starben in den nächsten Wochen und Monaten an den Folgen der Haft. Von den mehr als 3.000 Menschen, die ab Sommer 1942 aus Frankfurt nach Theresienstadt verschleppten worden waren, hatten nur 334 überlebt. Dr. Leopold Neuhaus, in den 1930er Jahren Lehrer am Philanthropin, letzter Rabbiner der Frankfurter Vorkriegsgemeinde und selbst betroffen, bat dringend darum, alle befreiten Personen aus Frankfurt und aus der Region umgehend von Theresienstadt abzuholen. Ein provisorisches Obdach für die Rückkehrenden bot unter anderen das schwer beschädigte Israelitische Krankenhaus in der Gagernstraße; noch im September 1947 wurden dort auch Remigrierte aus Shanghai aufgenommen, wohin sich zahlreiche Juden geflüchtet hatten.

Zentralkomitee der befreiten Juden in Frankfurt am Main

Gebäude im Baumweg 5-7 in Frankfurt, 1947
In diesem Gebäude im Baumweg 5-7 in Frankfurt befand sich nach dem Zweiten Weltkrieg der Sitz des provisorischen Gemeindevorstands. Heute befindet sich darin die Baumwegsynagoge. Foto: 1947

Neben den Frankfurter*innen jüdischer Herkunft hielten sich bald mehrere Hundert Jüdinnen und Juden aus Osteuropa in der Stadt auf; die meisten waren aus Polen vor neuerlichen Pogromen geflüchtet. Einige von ihnen schlossen sich zum „Zentralkomitee der befreiten Juden in Frankfurt am Main“ zusammen. Nach Auflösung des nahegelegenen DP-Lagers Zeilsheim im November 1948 erhielten etwa 200 dort zurückgebliebene „displaced persons“ eine Zuzugsgenehmigung für die Stadt Frankfurt.

Leopold Neuhaus wurde von der US-Militärverwaltung zum Beauftragten für jüdische Angelegenheiten bestellt und mit der Gründung einer Jüdischen Gemeinde betraut. Nach dem Zweiten Weltkrieg hatte er als einziger Rabbiner seine frühere Tätigkeit in Deutschland wiederaufgenommen. Ab November 1945 fungierte er als Vorsitzender eines provisorischen Gemeindevorstands; erster Sitz dieses Gremiums war im Nordend der frühere Oppenheimersche Kindergarten, Baumweg 5-7, wo auch bereits Gottesdienste gefeiert werden konnten.

Beziehungen zwischen polnischen und deutschen Juden

Die Beziehungen zwischen den zurückgekehrten Mitgliedern der Vorkriegsgemeinde und den zumeist polnisch-jüdischen DP waren mitunter schwierig, wie aus einem Zeitzeugeninterview mit Kurt de Jong hervorgeht, der die Zeit damals als Kind erlebt hat:

„Ich erinnere mich an Streitigkeiten, die es gab zwischen den alten Frankfurtern und den aus Polen kommenden Juden, ich kann mich noch erinnern wie einer von den alten Frankfurtern dann geplärrt hat über diese ‚Dahergelaufenen‘.

Das war einfach für die nicht akzeptabel. Weil die hatten einen anderen Ritus. Die hatten ein anderes Verständnis von Synagoge, das Verständnis von Synagoge in der Zeit wo ich mich erinnern kann als Vier-, Fünfjähriger war, dass man in die Synagoge geht, den Mund hält, ehrfürchtig und wenn gebetet wird und sich nicht unterhalten hat und die polnischen Juden kamen, da wurde es schon ein bisschen lauter. Man hat geredet die Synagoge war der Treffpunkt, das war etwas anderes. Und das war für uns am Anfang so ein bisschen fremdartiger. Man gewöhnt sich im Laufe der Zeit dran.“

Wahl des ersten Gemeinderates vor 75 Jahren

Am 19. Januar 1947 – heute vor 75 Jahren – endete das Provisorium mit der Wahl eines Gemeinderates. Zwischenzeitlich war Leopold Neuhaus mit seiner Ehefrau Cilly Carlebach in die USA ausgewandert. Die Existenz der diversen Gruppierungen heterogener Herkunft in der Stadt blieb nicht frei von Spannungen. Und so spricht es für einen gewissen Pragmatismus, dass ab Anfang 1949 die mehrheitlich polnischen Komitee-Mitglieder dem Frankfurter Gemeinderat beitraten und so im April 1949 der Gründung der Jüdischen Gemeinde Frankfurt nichts mehr im Wege stand. Bereits am 10. März 1949 war der Gemeinde mit seinerzeit etwa 800 Mitgliedern der Status als Körperschaft des öffentlichen Rechts zuerkannt worden. Aktuell zählt die Gemeinde mehr als 6.200 Mitglieder.

Literaturhinweise

  • Tobias Freimüller: Frankfurt und die Juden. Neuanfänge und Fremdheitserfahrungen 1945-1990, Göttingen 2020.
  • Helga Krohn: »Es war richtig, wieder anzufangen.« Juden in Frankfurt am Main seit 1945, Frankfurt am Main 2011.
  • Alon Tauber: Zwischen Kontinuität und Neuanfang. Die Entstehung der jüdischen Nachkriegsgemeinde in Frankfurt am Main 1945–1949,Wiesbaden 2008.

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