Ausschnitt aus einem Selbsporträt von Ludwig Meidner

Ludwig Meidner (1884 − 1966)

Avantgardist und strenggläubiger Jude

Ludwig Meidner gilt der als einer der bedeutendsten Vertreter des urbanen Expressionismus. Sein Werk ist aber auch geprägt von der intensiven Auseinandersetzung mit der jüdischen Religion sowie der Erfahrung von Ausgrenzung und Verfolgung nach 1933 und dem Exil in England.

Der Expressionist

Diese Ölgemälde von Ludwig Mediner ist ein Selbstporträt mit Palette und Pinseln, 1922
Ludwig Meidner, Selbstporträt mit Palette und Pinseln, 1922 © Ludwig Meidner-Archiv, Jüdisches Museum der Stadt Frankfurt am Main

Ludwig Meidners expressionistische Werke zeichnen sich durch ihren spontanen, dynamischen Gestus aus. Sie galten daher schon den Zeitgenossen als Inbegriff des Expressionismus: "Alles, was er macht, ist Ausdruck, Ausbruch und Aussprengung."

Meidners expressionistische Gemälde und Zeichnungen thematisieren die Dynamik der Großstadt sowie Katastrophen und Weltuntergang. Mit Beginn des Ersten Weltkrieges, als die imaginierten Katastrophen seiner sogenannten „apokalyptischen Landschaften“ schreckliche Wirklichkeit zu werden schienen, befasste sich Meidner zunehmend mit religiösen Themen. Seine ausdrucksstarken Figuren schwanken dabei zwischen Verzückung und Verzweiflung.

Meidner erklärte in den frühen 1920er Jahren seine Abkehr vom Expressionismus. Er schrieb etwa: "Ja, wir haben die Kunst zu sehr vergöttert, zu leidenschaftlich umworben mit unserer Seele – jetzt ist sie abgenutzt und verbraucht." Der Kunst stellte er nun die Religion gegenüber, die "wahre Kunst", die allein Antworten auf die Sinnfrage geben kann.

Trotz seiner Abwendung vom "Irrweg des Expressionismus" blieb Meidner in Grunde sein Leben lang ein Expressionist. Das heißt, auch in seinem späteren Werk steht das innere Erleben im Mittelpunkt. Obwohl sich seine Stilmittel ändern, finden sich auch hier dramatische und emotionale Momente. Wenig ist komponiert und konstruiert, alles ist gefühlt und erlebt.

Ludwig Meidner, Eine autobiographische Plauderei, 1923

"Nichts tu ich lieber als große Blätter komponieren mit Gestalten oder Begebnissen der heiligen Schrift. So einen korpulenten Zeloten hineinzupflanzen in den Raum, daß die Wölklein seinen Ringelbart umspielen!"

Künstler und gläubiger Jude

Mitte der 1920er Jahre mündete die religiöse Sinnsuche Meidners in der Rückkehr zum Judentum. Er richtete sein tägliches Leben gemäß der traditionellen Vorschriften aus. Auch in seiner Kunst beschäftigte er sich fortan intensiv mit der Bibel und der jüdischen Tradition.

Für Meidners eigene religiöse Praxis und für seine religiösen Darstellungen nahm dabei das Gebet, also die individuelle Begegnung mit dem Schöpfer, eine Schlüsselrolle ein. Seine Bilder konzentrieren sich ganz auf diese innere Begegnung, egal ob er widerspenstige Propheten oder inbrünstige Beter beim Gottesdienst zeigt. Pittoreske Genreszenen oder von Motive aus dem ostjüdischen Schtetl fehlen hier hingegen vollständig.

Emigrant

Im Exil schuf Meidner vor allem Zeichnung und Aquarelle, jedoch kaum Ölgemälde. Dass ist typisch für emigrierte Künstler, die sich häufig keine Leinwände und Ölfarben leisten konnten. Trotz der deprimierenden Armut und der fehlenden Bestätigung als Künstler, die Meidners Zeit in London prägten, waren diese Jahre insgesamt doch künstlerisch höchst produktiv.

Er durchstreifte London auf ausgedehnten Spaziergängen und hielt seine Eindrücke unermüdlich in seinen Skizzenbüchern fest. Im britischen Internierungslager porträtierte er Hunderte seiner Mitgefangenen. Zudem entstanden umfangreiche aquarellierte Zyklen mit humoristischen oder grotesken Darstellungen, in denen Meidner die aus den Fugen geratene Zeit kommentierte. Schließlich zeichnete er in England einen Zyklus zur Judenverfolgung in Europa, die er mit steigendem Entsetzen aus der Ferne beobachtete.

Remigrant

1952 folgte Meidner der Einladung eines Freundes und besuchte Hamburg. Der freundliche Empfang, der ihm dort bereitet wurde und das Interesse, das man seiner Kunst entgegenbrachte, gaben wohl den Ausschlag für die Rückkehr. Im August 1953 kehrte Meidner endgültig wieder nach Deutschland zurück. Er ließ sich zunächst in Frankfurt nieder, wobei sich die Ortswahl eher aus praktischen Gründen ergab. Unter anderem war hier die Frage der Wiedergutmachung, die die hessische Landesregierung im Fall Meidners unbürokratisch regelte, von Bedeutung. Zudem hatte er die Möglichkeit, hier im Jüdischen Altersheim zu wohnen. Seine Frau Else Meidner lehnte die Rückkehr ins Land der Täter kategorisch ab und blieb in London.