Kriegstagebpcher von Bruno Wolff (1870–1918)

Bruno Wolff (1870–1918)

Aufzeichnungen aus dem Ersten Weltkrieg

Die Aufzeichnungen von Prof. Dr. med. Bruno Wolff aus dem Ersten Weltkrieg sind ein bedeutendes Dokumente deutsch-jüdischer Bildungs- und Mentalitätsgeschichte. Sie geben Einblick in die Gedankenwelt eines umfassend gebildeten, assimilierten deutschen Juden, der sich in jeder Hinsicht als Angehöriger der deutschen Nation versteht, aber zugleich beruflich wie privat immer wieder mit einem tiefsitzenden Antisemitismus konfrontiert ist.

Bruno Wolff war Sohn des Professors der Chirurgie an der Berliner Universität Julius Wolff (1836–1902), nach dem ein Institut an der Charité in Berlin benannt ist. Carl Weigert (1845–1904), Direktor des Pathologisch-Anatomischen Instituts der Senckenbergischen Stiftung in Frankfurt am Main, war sein Onkel mütterlicherseits.

Werdegang von Bruno Wolff

Bruno Wolff studierte Medizin an den Universitäten Freiburg, Würzburg und Berlin. 1893 wurde er Doktor der Medizin. Nach einer Assistentenzeit bei seinem Onkel Weigert in Frankfurt war er bis 1911 in Berlin und Charlottenburg als Frauenarzt tätig, unter anderem als Leitender Arzt der Abteilung für Geburtshilfe und Gynäkologie am Krankenhaus der Jüdischen Gemeinde zu Berlin. Dann wechselte er zur pathologischen Anatomie und wurde Assistent am Pathologischen Institut in Rostock, das von Ernst Schwalbe (1871–1920) geleitet wurde. Dort habilitierte er sich im März 1913 und erhielt 1915 den Professortitel.

Kriegseinsatz

Mit Beginn des Ersten Weltkriegs wurde er als Oberarzt der Landwehr zum Militärdienst nach Danzig eingezogen und an die Front in Ostpreußen geschickt. Ende August 1914 wurde er an das Festungslazarett in Danzig versetzt. Von April 1915 bis Juni 1916 leitete er ein Hilfslazarett in Danzig-Hochstrieß, in dem vor allem Seuchenfälle behandelt wurden. Für diese Tätigkeit wurde ihm das Eiserne Kreuz verliehen.

Im Juli 1916 wurde er als Regimentsarzt eines Infanterieregiments an die Ostfront berufen, wo er an der Schlacht von Baranowitschi im heutigen Weißrussland teilnahm, die mit einem großen Sieg der deutschen über die russischen Truppen endete. Im September 1916 wurde er an das Festungslazarett in Danzig zurückberufen. Im August 1917 wurde er als leitender Arzt einer chirurgischen Abteilung an das Reservelazarett Rostock versetzt, so dass er gleichzeitig auch wieder seine Tätigkeit als 1. Assistent am Pathologischen Institut in Rostock aufnehmen konnte. Von Dezember 1917 bis Februar 1918 war er außerdem Bataillonsarzt eines Rostocker Ersatzbataillons. Für seine Verdienste als Militärarzt wurde ihm im August 1917 die Rote-Kreuz-Medaille III. Klasse verliehen. Am 10. November 1918 starb Wolff an einer Streptokokkeninfektion, die er sich bei einer Operation am Pathologischen Institut in Rostock zugezogen hatte.

Die Aufzeichnungen

Seit Beginn des Ersten Weltkriegs, an dem Bruno Wolff buchstäblich vom ersten bis zum letzten Tag als Sanitätsoffizier teilnahm, machte er tagebuchartige Aufzeichnungen, die nach eigenem Bekunden für seine Nachkommen gedacht waren. Diese Aufzeichnungen sind in Form von sechs Heften im Nachlass seines Sohnes, des Rechtshistorikers Hans Julius Wolff (1902–1983), erhalten geblieben. Dessen Tochter Dr. Katherine Wolff überließ ihn dem Jüdischen Museum Frankfurt.

Das erste Heft schildert die Vorgeschichte des Kriegsausbruchs, die Mobilmachung und Bruno Wolffs Fronteinsatz im August 1918 bis zu seiner Versetzung nach Danzig. Dieses Heft ist erst zwischen Mai und Juli 1917 verfasst worden, beruht angesichts seiner vielen Details aber sicher auf älteren Aufzeichnungen. Heft 2 setzt dann nach einer großen zeitlichen Lücke von 20 Monaten im Mai 1916 mit der Abberufung aus Danzig-Hochstrieß zum Fronteinsatz bei Baranowitschi wieder ein. Seitdem sind die Aufzeichnungen mit deutlich geringerem zeitlichem Abstand zu den Ereignissen abgefasst.

Auseinandersetzung mit Antisemitismus

Die Aufzeichnungen Bruno Wolffs sind keine reine Ereignisschilderung. Sie enthalten außerdem detaillierte Beschreibungen seiner ärztlichen Tätigkeit sowie politische, philosophische und medizinethische Reflexionen. Umfangreiche private Notizen befassen sich vor allem mit der Erziehung der beiden Söhne, deren historische bzw. naturwissenschaftliche Begabung schon früh deutlich wird, und schließen die Wiedergabe von Briefen seiner Frau Käthe Wolff geb. Pinner (1877–1960) ein.

Die Aufzeichnungen zeigen die Gedankenwelt eines umfassend gebildeten, assimilierten deutschen Juden, der sich in jeder Hinsicht als Angehöriger der deutschen Nation versteht. Zugleich ist er beruflich wie privat immer wieder mit einem tiefsitzenden Antisemitismus konfrontiert. Die Zurücksetzungen, unter denen auch die Söhne leiden, lassen die Eltern sogar eine Taufe der Kinder in Erwägung ziehen, wozu sich Bruno Wolff aber letztendlich nicht entschließen kann. Die Auseinandersetzung mit antisemitischen Haltungen im Bekannten- und Freundeskreis wie auch allgemein in der deutschen Gesellschaft nimmt in Bruno Wolffs Aufzeichnungen einen breiten Raum ein.

Patriotismus oder Nationalismus?

Im Vergleich mit anderen Aufzeichnungen deutsch-jüdischer Autoren aus der Zeit des Ersten Weltkriegs fällt auf, wie ungebrochen das Vertrauen Bruno Wolffs in die politische und militärische Führung Deutschlands lange Zeit ist. Erst die Entlassung von Reichskanzler von Bethmann-Hollweg im Juli 1917, die Hinwendung seines Vorgesetzten und Freundes Ernst Schwalbe zur alldeutschen Bewegung ab September 1917 und Diskussionen mit seinem wesentlich kritischeren Schwager Paul Alexander (1870–1942) in Berlin leiten ein Umdenken ein und lassen ihn „ein besseres, freiheitliches und zugleich gerechteres Preußen“ erhoffen. Zum möglichen Träger seiner politischen Hoffnungen wird ihm der nationalliberale Reichstagsabgeordnete Gustav Stresemann (1878–1929). Dessen Einsatz als Reichskanzler und Außenminister für eine neue europäische Friedensordnung hat Bruno Wolff aufgrund seines frühen Todes nicht mehr miterleben können.

Dokumente deutsch-jüdischer Bildungs- und Mentalitätsgeschichte

Die Kriegstagebücher Bruno Wolffs haben bisher vor allem als medizinhistorische Quelle Beachtung gefunden. Als Dokumente deutsch-jüdischer Bildungs- und Mentalitätsgeschichte sind sie noch zu entdecken. Die Auszüge aus dem umfangreichen Material, die wir hier vorlegen und für deren Transkription und Kommentierung wir unserer langjährigen freien Mitarbeiterin Karola Nick danken, sollen den Blick vor allem auf diese Aspekte der Aufzeichnungen lenken.