Der Großraum Frankfurt spielte bei der Rückgabe geraubter Kulturgüter eine zentrale Rolle: im kaum zerstörten Rothschild-Palais, heute Standort des Jüdischen Museums, befand sich ab 1895 die "Freiherrlich Carl von Rothschild’sche Bibliothek". Da das Gebäude nicht stark zerstört war und als Bibliothek gute Voraussetzungen für die Unterbringung von Büchern bot, richteten die Alliierten hier 1945 einen ersten Collecting Point ein. Über eine Million Bücher, Archivalien und Ritualgegenstände lagerten hier, die die Nationalsozialisten in ganz Europa geraubt und in Frankfurt, im "Institut zur Erforschung der Judenfrage" in der Bockenheimer Landstraße 68 und in Depots in der Nähe von Frankfurt, gehortet hatten.
Über 60 Mitarbeiter*innen der Streitkräfte identifizierten und sortierten die Objekte im Collecting Point. Ziel war es, die vormaligen Eigentümer*innen zu ermitteln und ihnen ihren Besitz zurückzugeben. Wenn dies nicht möglich war, wurden die Objekte im Namen des jüdischen Kollektivs an jüdische Einrichtungen weltweit, vor allem in den USA und Israel, übergeben.
Offenbach Archival Depot
Da die Zahl der Objekte durch Entdeckungen weiterer Depots rasant anwuchs, wurden die Räumlichkeiten im Rothschild-Palais bald zu klein. Daher verlegte die amerikanische Militärverwaltung den Collecting Point in eine Halle nahe Offenbach, die vormals der I.G. Farben gehört hatte. Zwischen 1946 und 1948 wurden in diesem Depot über drei Millionen Bücher, Archivalien und Ritualgegenstände zusammengetragen. Mit deren Erfassung, Identifizierung und Zuordnung waren bis zu 140 Menschen beschäftigt. Ein großer Teil der Bücher und Objekte konnte restituiert werden. Als das Offenbach Archival Depot im Juni 1949 schloss, waren mehrere Millionen Bücher und mehr als eine Million Objekte zurückgegeben worden. Mehr als eine Million Bücher sowie mehrere tausend Ritualgegenstände wurden an andere Collecting Points, vor allem denjenigen in Wiesbaden, übergeben. Fortan kümmerten sich jüdische Organisationen wie die Jewish Cultural Reconstruction (JCR) um die Verteilung der herrenlosen Gegenstände.
Heutzutage spielt der Umgang mit Objekten, die unrechtmäßig in die Sammlungen gekommen sind, in Museen eine große Rolle. Wichtig hierfür sind die Statuten der Washingtoner Erklärung. Eine faire und gerechte Lösung herbeizuführen, ist das Ziel von Provenienzforschung für den Fall, dass die rechtmäßigen Eigentümer*innen eines Objekts oder deren Erb*innen im Verlauf der Recherchen gefunden werden. Dabei kommt es nicht immer zu einer Rückgabe des Kulturgutes. Der Kauf durch das Museum, eine Schenkung oder Leihgabe durch die Besitzer*innen kommen auch vor. Wichtig ist vor allem die Anerkennung des zugefügten Unrechtes und die Erforschung und Veröffentlichung der Objekt- und Besitzer*innengeschichte.
Claims Conference
Für die Restitution und Entschädigung geraubten Eigentums setzt sich die Conference on Jewish Material Claims against Germany, kurz Claims Conference ein. Gegründet 1951, schloss sie mit der Bundesrepublik Deutschland ein Abkommen über Entschädigungszahlungen für die materiellen Verluste jüdischer Einzelpersonen wie auch des jüdischen Volkes als Kollektiv. Die Claims Conference unterstützt bedürftige Überlebende der Schoa mittels sozialer Einrichtungen und verhandelt über Entschädigungszahlungen. Restitutionen, die nicht an die Betroffenen erfolgen können, gehen an die Claims Conference als Vertretung.
Handbook on Judaica Provenance Research
Provenienzforschung an Judaica ist noch jung, daher ist ein systematisches Wissen um Objekte, Sammler*innen und Händlernetzwerke noch nicht ausreichend vorhanden. Gleichzeitig ist aber bei Ritualgegenständen vor allem von jüdischen Vorbesitzer*innen auszugehen, ein Zwangsentzug zwischen 1933 und 1945 ist in diesen Fällen wahrscheinlich. Um fehlender Expertise in den Museen und Sammlungen zu begegnen, haben die Judaica-Expertinnen Julie-Marthe Cohen, Felicitas Heimann-Jelinek und Ruth Jolanda Weiberger das Handbook on Judaica Provenance Research: Ceremonial Objects verfasst, das 2018 von der Claims Conference herausgegeben wurde. Das Buch ist auf Deutsch und Englisch online abrufbar.