Ida (Adi) Ritter (1900-1975), Bahnübergang, um 1945-55, Aquarell über Bleistift

Exilkunst und verschollene Generation

Über unsere Sammlung teils vergessener jüdischer Künstler:innen
Porträt von Korbinian Böck
20. Dezember 2022Korbinian Böck

In diesem Blogbeitrag werfen wir einen Blick auf das Thema Exilkunst, das seit Gründung unseres Museums einen wichtigen Sammlungsschwerpunkt bildet.

Vier heute weitgehend vergessene jüdische Künstlerinnen stehen im Fokus unserer aktuellen Ausstellung "Zurück ins Licht": Amalie Seckbach, Erna Pinner, Ruth Cahn und Rosy Lilienfeld. Das ist allerdings nicht neu: Wir sehen es seit jeher als eine unserer zentralen Aufgaben an, der gewaltsamen Stigmatisierung und Verdrängung jüdischer Künstler*innen aus der Kunstgeschichte des 20. Jahrhunderts entgegenzuwirken. 

Verschollene Generation und Exilkunst

Seite aus "Entartete Kunst"
Seite aus dem Ausstellungsführer "Entartete Kunst" von 1937. Darin wurde u.a. der Expressionist Ludwig Meidner aufgeführt und verfemt.

Mit der nationalsozialistischen Machtübernahme wurden jüdische Kulturschaffende systematisch aus dem Kulturleben verdrängt, ihrer Arbeitsmöglichkeiten beraubt, ihre Werke als teils als entartet verfemt und vielfach zerstört. Zahlreiche dieser Menschen verließen Deutschland und gingen ins Exil. Viele andere wurden ermordet. Doch auch jene deutsch-jüdischen Künstler*innen, die die Schoa überlebten, sind heute oft vergessen. Im Ausland konnten viele von ihnen nicht an ihre Karrieren hierzulande anknüpfen, verarmten und mussten sich andere Betätigungsfelder suchen. Und auch im Nachkriegsdeutschland, wo frühere NS-Funktionsträger auch weiterhin Teile des Kulturbetriebs prägten, fanden Sie vielfach keinen Platz.

Sammlungsschwerunkt seit Museumsgründung

Glasmosaik von Samson Schames
Glasmosaik des Frankfurter Exilkünstlers Samson Schames (um 1956). Es zeigt eine Gestalt beim Blasen des Schofars, ein traditionelles Instrument aus Widderhorn, das etwa am jüdischen Neujahrsfest Rosch ha-Schana und am Ende des Versöhnungstages Jom Kippur ertönt.

Seit der Gründung unseres Hauses im Jahr 1988 sammeln, erforschen und bewahren wir Werke der sogenannten „verlorenen Generation“ insbesondere aus Frankfurt – einer Stadt, die sich in den 1920er Jahren durch eine lebendige, international vernetzte Kunstszene auszeichnete. Bereits ein Jahr nach der Museumseröffnung präsentierten wir etwa Samson Schames (1898 – 1967) der Öffentlichkeit, der als Neffe des expressionistischen Kunsthändlers Ludwig Schames einer alteingesessenen Frankfurter Familie entstammte, 1939 nach London floh und schließlich nach New York emigrierte. 2023 widmen wir diesem bedeutenden Zeichner und Maler erneut eine Kabinettausstellung

Das Ludwig Meidner-Archiv

1994 erwarb das Jüdische Museum den rund 2.000 Arbeiten umfassenden künstlerischen Nachlass von Ludwig Meidner und gründete das Ludwig Meidner-Archiv, das sich dem Thema Exilkunst widmet und mittlerweile die Nachlässe von fünf weiteren Künstler*innen betreut, die aus Deutschland fliehen musste. Ihre Karrieren und Lebenswege verliefen dabei sehr unterschiedlich, für alle war das Exil aber eine dramatische Zäsur, die ihr weiteres Leben und Schaffen prägte. 

Das Künstlerehepaar Ludwig und Else Meidner

Else Meidner (1900-1987), Kniender Akt, Aquarell, London 1950

Das Künstlerehepaar Ludwig und Else Meidner verließ Deutschland in letzter Minute kurz vor dem Kriegsausbruch 1939. Ludwig Meidner (1884 − 1966) hatte bereits vor dem Ersten Weltkrieg große Erfolge als Expressionist gefeiert. Seine Schülerin und spätere Ehefrau Else Meidner (1900-1987) stand 1933 am Beginn einer vielversprechenden Karriere, die durch den Machtantritt der Nationalsozialisten jedoch blockiert war. Wir andere Künstler*innen auch blieben Arbeitsmöglichkeiten etwa auf den Jüdischen Kulturbund beschränkt. 

Im englischen Exil lebte das Ehepaar in prekären Verhältnissen, Ludwig Meidner wurde zeitweise als „Enemy Alien“ interniert. Während er in den 1960er Jahren nach Deutschland zurückkehrte und sich einer gewissen Bekanntheit erfreute, blieb Else Meidner in England, gab die Kunst aber ab Mitte der 1960er Jahre aus gesundheitlichen Gründen, sicherlich aber auch aus Entmutigung, auf.

Jakob Nussbaum (1873–1936): Frankfurter Impressionist

Gemälde von Jakob Nussbaum: Frankfurter Osthafen, 1926
Jakob Nussbaum, Frankfurter Osthafen, 1926 © Jüdisches Museum Frankfurt

2017 übernahmen wir den künstlerischen und den schriftlichen Nachlass Jakob Nussbaums (1873 – 1936), der in den 1920er Jahren der bedeutendste impressionistische Maler Frankfurts war. Aus dieser Erwerbung ging das Jakob-Nussbaum-Archiv hervor, welches nunmehr alle Werke von Frankfurter Künstlerinnen und Künstlern umfasst, die bis 1933 am Main lebten und arbeiteten, später ausgegrenzt, verfolgt, zur Flucht gezwungen oder ermordet wurden.

Ida Ritter (1900–1975):

Auch Ida Ritter, die ihre Bilder manchmal auch mit „Adi“ (also einem Anagramm ihres Vornamens) Ritter signierte, zählt zu den Künstlerinnen der "vergessenen" Generation. Sie wanderte nach 1933 aus auf die Bahamas und von dort weiter in die USA. Dort gelang es ihr aber nur sehr bedingt, sich als Künstlerin zu etablieren. Wir betreuen den künstlerischen Nachlass der gebürtigen Nürnbergerin. In diesem Beitrag erfahren Sie mehr über ihr Leben und Werk.

Kurt Levy (1911-1987)

Gouache von Kurt Levy, Die Seereise, 1960
Kurt Levy, Die Seereise, 1960 © Ludwig Meidner-Archiv, Jüdisches Museum der Stadt Frankfurt am Main

Während das Exil für die Meidners einen dramatischen Einschnitt in ihr Schaffen bedeutete, markierte es für Kurt Levy, dessen Nachlass gut 1.200 Arbeiten umfasst, den Beginn einer erfolgreichen Karriere. Während der 25 Jahre, die er in Kolumbien lebte, avancierte er dort zum anerkannten Künstler und Professor an der Universität Barranquilla, dessen Bilder in zahlreichen Ausstellungen gezeigt wurden.

Aufgrund gesundheitlicher Probleme und aus Sorge wegen der Inflation in Kolumbien ließ Levy im Jahre 1960 Südamerika hinter sich und lebte als freier Künstler in Köln, wo er 1987 verstarb.

Arie Goral (1909-1996)

Ölgemälde von Arie Goral, Ohne Titel, aus der Serie „Israelische Ikonen“, 1968
Arie Goral, Ohne Titel, aus der Serie „Israelische Ikonen“, 1968 © Ludwig Meidner-Archiv, Jüdisches Museum der Stadt Frankfurt am Main

Arie Goral (eigentlich Walter Sternheim) wurde v.a. als Dichter und streitbarer Publizist bekannt. Sein rund 1.700 Werke umfassender künstlerischer Nachlass belegt aber, dass der kämpferische Aktivist durchaus eine empfindsame Seite besaß. In den 1920er und frühen 1930er Jahren war er in der jüdisch-sozialistischen Jugendbewegung in Deutschland aktiv. 1933 floh Goral zunächst nach Frankreich und emigrierte 1934 nach Palästina. Dort verkehrte er im literarischen Kreis um Else Lasker-Schüler und veröffentlichte Lyrik. Goral begann dort auch zu malen, als er an einem Kibbuz eine Malschule für Kinder einrichtete. 1953 kehrte er nach Hamburg zurück. Als Schriftsteller, Publizist, Galerist und Maler wurde er zum "Gewissen der Stadt". Er starb 1996 in Hamburg.

H. Henry Gowa (1902-1990)

Henry Gowa in seinem Atelier, 1955
Henry Gowa in seinem Atelier, 1955 © Nachlass H. Henry Gowa

Der Maler und Bühnenbildner H. Henry Gowa (eigentlich Hermann Gowa) war 1943 in einem südfranzösischen Bergdorf untergetaucht und entging so der Deportation. Die über 1.200 Werke und zahlreichen Dokumente in seinem Nachlass zeigen Gowa als künstlerischen Grenzgänger zwischen Deutschland und Frankreich und Protagonisten des Kulturaustauschs in den Nachkriegsjahren.

Hanns Ludwig Katz (1892-1940)

Hanns Ludwig Katz „Frankfurt am Main bei Nacht“, um 1930/33 Öl auf Holz 70,2 x 59,7 cm Provenienz Nachlass des Künstlers / Privatsammlung, Südafrika / Thailand © Jüdisches Museum Frankfurt

Der deutsch-jüdischer Maler und Grafiker wurde als expressionistischer Künstler bekannt. Er studiert unter anderem in Paris bei Henri Matisse. Von 1913 bis 1918 studierte Katz Malerei, Kunstgeschichte und Architektur in Karlsruhe, Heidelberg und München. Ab 1920 lebte und arbeitete Hanns Ludwig Katz in Frankfurt am Main. Seine ab dieser Zeit entstandenen Werke sind zunehmend beeinflusst von der Neuen Sachlichkeit. Er war Mitglied des Frankfurter Künstlerbundes und unterrichtete ab 1933 im Jüdischen Kulturbund. 1936 emigrierte der Maler nach Johannesburg.

Erna Pinner (1890– 1987)

Erna Pinner ist erscheint als Inbegriff der „neuen Frau“ der 1920er Jahre. An der Seite ihres Partners, dem Schriftsteller Kasimir Edschmid, erkundete die Künstlerin auf ausgedehnten Reisen die Welt und gelangte zu Berühmtheit. Sie studierte zunächst in Frankfurt am Städelschen Kunstinstitut, später bei Lovis Corinth in Berlin sowie an der Akademie Ranson in Paris. Mit Ausbruch des Ersten Weltkriegs kehrte sie nach Frankfurt zurück und stellte bei Ludwig Schames und später in der Galerie Flechtheim aus.

Nach ihrer Emigration nach London 1935 entwickelte sie einen neuen Stil der naturwissenschaftlichen Illustration, in dem sie mit fast fotografischer Detailtreue Volumen, Proportionen und Texturen wiedergeben konnte. Sie studierte Zoologie und belegte Grafikkurse. Ihre Publikationen nach dem Krieg beschäftigen sich mehr und mehr mit der Geschichte biologischer Arten.

In unserer Ausstellung "Zurück ins Licht" präsentieren wir erstmals Zeichnungen und Fotografien, die bislang noch unbekannt waren und neue Einblicke in ihr Leben und Schaffen ermöglichen.

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