Besucherbefragung im Museum Judengasse

Die große Kunst des Fragens

Was ein Museum von seinen Besucher*innen wissen möchte
Porträt Fenja Fröhberg
14. Januar 2020Fenja Fröhberg

2020 wollen wir ein neues Haus mit einer neuen Dauerausstellung eröffnen. Doch wer sind eigentlich unsere momentanen Besucher*innen? Im Sommer 2019 machten wir eine Besucher*innenbefragung im Museum Judengasse.

"Entschuldigung, dürfte ich Sie nach Ihrer Postleitzahl fragen?" Diese oder ähnliche Fragen hört jede*r von Zeit zu Zeit, meistens an einer Kasse eines Geschäftes oder einfach mitten auf der Straße. Dahinter steckt in der Regel Marktforschung, die danach fragt: wer ist der Kunde und woher kommt er? In der Wirtschaft schon lange gängig, sind Befragungen der Besucher*innen in Museen und anderen Kulturbetrieben noch viel zu selten.

Besucher*innen im Fokus der Museumsarbeit

Im aktuellen Museumsdiskurs stehen die Besucher*innen im Zentrum. Für sie werden die Ausstellungen  und Programme der Häuser entwickelt. Und durch die Ausstellung wird zwischen den Kunstwerken, Überlieferungen und Objekten für die Besucher*innen vermittelt.

Auch innerhalb der Museumswelt werden mittlerweile Begriffe wie Besucher*innenfreundlichkeit, Partizipation, Inklusion und Kollaboration groß geschrieben. Abseits der jährlich erfassten Besucher*innenzahlen, mit denen in diesem Bereich häufig Erfolge gemessen werden, wissen viele Museen jedoch wenig über die Menschen, die zu ihnen ins Haus kommen. Wer sind sie? Was eigentlich interessiert sie an einer Ausstellung? Antworten auf diese Fragen lassen sich mittels Besucher*innenforschung finden. Dieser Begriff umfasst nicht nur die klassische Abfrage der Postleitzahl und des Alters, sondern geht auch Verbesserungsvorschlägen und Motiven für den Museumsbesuch nach. In den letzten Jahren kam vermehrt auch die sogenannte Nichtbesucher-Forschung hinzu.

Beim Open House im Herbst 2018 konnten Besucher*innen Ideen und Vorschläge für die künftige Bibliothek des Jüdischen Museums anbringen
Beim Open House im Herbst 2018 konnten Besucher*innen Ideen und Vorschläge für die künftige Bibliothek des Jüdischen Museums anbringen. Foto: Uwe Dettmar

Bei unseren Pop-Up-Events der vergangenen Jahre haben wir unsere Besucher*innen immer wieder nach ihrer Meinung gefragt, beispielsweise nach den Wünschen an unsere neue Bibliothek. Im Sommer 2019 haben wir im Museum Judengasse versucht, unser Publikum sozio-demographisch zu erfassen.

Viele Fragen – viele Möglichkeiten

In unserem Haus gab es viele Annahmen darüber, wer unsere momentanen Besucher*innen seien. Im Zuge der anstehenden Neueröffnung entwickelten wir für die Dauerausstellung sogenannte Personas, um konkrete Menschen für die Entwicklung von Ideen und Vermittlungsformaten vor Augen zu haben. Über die momentane Besucher*innenschaft gab es allerdings keine aktuellen Angaben, die letzte größere Untersuchung war aus dem Jahr 2010. Daher bekam ich die Aufgabe übertragen, neue Daten zu erheben.

Besucherbefragung im Museum Judengasse

Einfach nur die Besucher*innen befragen – das ist leicht gesagt, doch musste ich viele Überlegungen miteinbeziehen. Welche Fragen sollten wir den Menschen stellen, damit die gegebenen Auskünfte auch wirklich auf unser Interesse antworten? Und wie müssen diese formuliert sein, damit jede*r sie versteht? Wie viele Fragen können insgesamt gestellt werden, ohne dass die Leute die Befragung abbrechen? Und wie gestalte ich den Fragebogen und das Setting so ansprechend, dass er gerne in die Hand genommen wird? All diese Überlegungen sind selbstverständlich nicht neu, sondern werden seit Jahrzehnten in den statistischen Fächern gestellt und beantwortet. Die Antworten darauf müssen stets auf das individuelle Projekt angepasst und mit den Erwartungen an das Projekt zusammengeführt werden.

Das Ergebnis war ein Fragebogen in Deutsch und Englisch, mit dem die Besucher*innen aktiv angesprochen wurden, der aber auch zum eigenständigen Ausfüllen jederzeit bereit lag. Der Schwerpunkt lag auf einer sozio-demographischen Abfrage, die mit einigen offenen Fragen angereichert war. Über zwei Monate hinweg befragten einige freie Mitarbeiter*innen und ich mit Hilfe unserer sehr engagierten Kassen- und Aufsichtskräfte im Museum Judengasse insgesamt 566 Menschen.

Nach der Befragung ist vor der Auswertung

Besucherbefragung im Museum Judengasse

Nach der Befragung ging es an die Auswertung und anschließend die Interpretation der erhobenen Daten. Wenig überraschend war die mehrheitliche Herkunft (55 Prozent) der Befragten aus Deutschland. Der Rest verteilte sich auf die ganze Welt mit größeren Anteilen aus den USA, Spanien und UK.

Anders war es mit der Altersstruktur der Befragten. Viele meiner Kolleg*innen erwarteten ein eher älteres Publikum. Deshalb war es doch überraschend, dass die 20 bis 29-Jährigen die größte Altersgruppe bildeten. Und auch Englisch als meistgesprochene Sprache hatten wir so nicht vorhergesehen.

Viele Besucher*innen lobten das Museum, insbesondere die Inszenierung des Einführungsfilms, der hier in angepasster Form angesehen werden kann, wurde sehr gut aufgenommen. Auch die Begehbarkeit und Sinnlichkeit der Ausgrabungen einschließlich der Hands-On Stationen wurden häufig genannt. Störend empfanden viele hingegen technische Probleme wie nicht funktionierende Kopfhörer. Vielen äußerten den Wunsch nach einer Führung auf Französisch.

Womit wir im Team ebenfalls nicht gerechnet hatten: Zahlreiche Besucher*innen wünschten sich eine breitere Thematisierung der Ereignisse um die Schoa, einen stärkeren Bezug auf die Zeitgeschichte und die heutige Situation von jüdischen Menschen in Frankfurt. Diese Feststellung ist insofern überraschend, als wir das Jüdische Museum und das Museum Judengasse immer zusammendenken. Im letzteren erzählen wir die jüdische Geschichte Frankfurts bis ca. 1800. Die Dauerausstellung im Jüdischen Museum behandelt daran anknüpfend die Zeit bis zur Gegenwart. Diese Diskrepanz zwischen dem Bild und den Erwartungen der Besucher*innen und unserem Selbstbild nehmen wir zum Anlass, über eine gezieltere Kommunikation und vermittlerische Konsequenzen nachzudenken.

Zwischen Erwartungen und Zukunft

War diese Untersuchung nun eine einmalige Angelegenheit? Ganz und gar nicht denn mit den Befragungen bei den Pop-Up Events und den Ergebnissen dieser Untersuchung ist der nur erste Schritt getan, um das Museum evidenzbasiert besucher*innenfreundlicher zu gestalten. In Zukunft sollen regelmäßig Daten erhoben werden, so wie es im Onlinebereich schon gängig ist. Denn nur so können die Besucher*innen sichtbar gemacht werden. Das wird in verschiedenen Formen stattfinden. Daneben freuen wir uns über Einträge in das analoge Gästebuch oder Feedback über unsere verschiedenen digitalen Kanäle, sei es zu unseren Ausstellungen, unsere Veranstaltungen oder sonstigen Angebote.

Fenja Fröhberg

Schlagwortsammlung

Kommentare

Würden sie mir freundlicherweise ein Exemplar des Blanko-Fragebogens zukommen lassen - als Anschauungsmaterial für meine Studierenden ? Danke vorab!

18.01.2020 • Prof. Dr. Bernd Günter

Gerne stellen wir Ihnen per Mail den Kontakt zur zuständigen Kollegin her.

22.01.2020 • Onlineredaktion Jüdisches Museum

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