Zum Jahresende möchten wir einen Rückblick auf ein Format werfen, dass wir in diesem Jahr zum ersten Mal ausstellen konnten: Artist-in-Residencies. Über die Laufzeit der Wechselausstellung „Rache – Geschichte und Fantasie“ hatten wir insgesamt vier Positionen eingeladen. In Zusammenarbeit mit DAGESH luden wir Künstlerinnen ein, sich mit der Thematik der Schau auseinanderzusetzen, in einer eigenen künstlerischen Arbeit aufzuarbeiten und in einer Veranstaltung vorzustellen. Dabei entstanden vielschichtige, kämpferische und mutige Arbeiten, die wir Ihnen zum Jahresende vorstellen möchten.
Nina Prader
Als unseren ersten Gast durften wir die Kuratorin, Künstlerin und Kunstvermittlerin Nina Prader vom 9. bis zum 22. Mai willkommen heißen. Die in Washington D.C. aufgewachsene und zwischen Wien und Berlin lebende Künstlerin agierte als museale Gerichtszeichnerin. Dafür beobachtete sie das Verhalten, die Gespräche und Eindrücke von Besucher*innern und verarbeitete sie mit der Auseinandersetzung von Ausstellungobjekten zu einer eigenen fiktiven Geschichte zu einem Zine. In „The missing Book of Lilith und Judith“ spielt sie mit einer kontrafaktischen Erzählung, in der die Dämonin und spätere Ikone der Frauenbewegung Lilith und die Rächerin Judith aufeinander treffen. Das Buch Judith ist nicht Teil des Tanachs, der hebräischen Bibel und damit Teil des Kanons jüdischer Legenden.
Ihren Alltag während ihres zweiwöchigen Aufenthalts beschreibt die Künstlerin so:
„Dann ab in die Racheausstellung mit meinem kleinen Notizbuch, wo ich mich zuerst tagelang einlese und Besucher*innen beobachte. Bam, der Baseball Schläger aus Inglorious Bastards ist ein Schnellkurs in Rachefantasien. Kehinde Wileys Version von Judith und Holofernes sowie Victoria Hannas Soundinstallation, in dem ein Amulett vertont wird, dass die Dämonin und feministische Ikone Lilith abwehrt, bringen mich zum Weinen aus Wut und Trauer. Sie berühren mich zutiefst zu vielen sozialen Gerechtigkeitsfragen, die mit den Schicksalen und Herkunft eines Körpers, der sich zusätzlich als Frau identifiziert, zusammenhängen. Es ist mir klar dort muss ich in meiner Arbeit ansetzen. Ich tauche tiefer in die Materie zu den realen Schicksalen der Rache vor und nach dem Zweiter Weltkrieg ein. Die Gruppe Nakam, David Frankfurter, Herschel Gryznspan lösen ambivalente Gefühle bei mir aus. Immer wieder frage ich mich: Gibt es gerechte Gewalt? Im dunkelblau gestrichenen “Archiv der Gegenwart” schmökere ich in Lilith Magazinen und Marvel Comics digital und analog.“
Hagar Ophir
Die zweite Künstlerin Hagar Ophir lud zu einer performativen Séance ein. Nachdem sie sich in der ersten Woche Ihrer Zeit intensiv mit den Objekten der Ausstellung befasst hatte, entschied sie sich, den dreihundert Jahre alten Chanukka-Leuchter aus dem Besitz der Familie Speyer als Gegenstand für die Séance zu verwenden. Während der Performance wurden die ehemaligen Besitzer*innen des eindrücklichen Leuchters angerufen. Ziel der Sitzung war, die individuellen Geschichten der vorherigen Besitzer auf ihre Leerstellen zu prüfen, um evtl. herauszufinden, was nicht mehr konstruiert werden kann. Das Objekt steht somit mit seinen vielen Stationen im Zentrum und kann seine eigene Geschichte erzählen.
Jay Saper
Der US-amerikanische Künstler, Lehrer und Übersetzer Jay Saper führte während seines Aufenthalts eine Werkgruppe weiter, die er bereits begonnen hatte: er fertigte Scherenschnitte von mutigen Frauen an, die Widerstandskämpferinnen, Partisanen und Holocuastüberlebenden waren. Dafür verwendet er die aus der jüdischen Volkskunst stammende Tradition des Scherenschnitts. Ein weiterer Teil seiner Arbeit ist das Übersetzen von Gedichten aus dem Jiddischen ins Englische. Über Generationen und Migrationsbewegungen hinweg geht die Sprache des Jiddischen, gerade in jüdischen Gemeinden in den USA, verloren. Jay möchte dem entgegenwirken, lernt die Sprache und macht sie durch seine Übersetzungen für ein breiteres englisch sprachiges Publikum zugänglich. Er übersetzte unter anderem jiddische Gedichte von der Holocaust überlebenden Rikle Glezer.
Un-Zu Ha-Nul Lee & Larissa Smurago
Für den letzten Aufenthalt durften wir die Künstlerinnen Un-Zu Ha-Nul Lee und Larissa Smurago bei uns willkommen heißen. Das Motiv der Rache, wenn auch unterschiedlich interpretiert, ist in Narrativen nahezu aller Kulturen präsent. In einer multimedialen Installation verweben die beiden die koreanische Gedenktradition des Ahnentisches, mit der jüdisch- (post-)sowjetischen Tradition des Shabbattisches. Der Ahnentisch wird einmal im Jahr aufgestellt, ist reich geschmückt mit allen Gegenständen, die die verstorbene Person gerne mochte oder sie ausgezeichnet hat. In der vorliegenden Installation gehören die vielfältigen Objekte von Kaviar, Nagellack, russischen Süßigkeiten über sauren Gurken, der fiktiven Person K. Sie stammt aus der damaligen Sowjetunion, ihr Leben ist von gravierenden Einschnitten gezeichnet. Sie konnte sich jedoch nie rächen, vielleicht auch, weil sie es nicht konnte. Die Künstlerinnen werfen die Frage auf, wer überhaupt die Möglichkeit hat, sich zu rächen oder ob es doch die beste Rache ist, ein süßes bzw. gutes Leben zu führen?
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