Auf einer neuen Website können Interessierte die Biografien von allen bekannten Frankfurter Opfern der Shoah recherchieren. Die pädagogischen Einsatzmöglichkeiten dieses Angebots skizziert Sophie Schmidt aus unserem Bildungsteam
Das Shoah Memorial Frankfurt eignet sich für die historische Bildungsarbeit in Frankfurt und Umgebung in besonderer Weise. Auf dieser neuen Website können Schüler:innen gezielt nach Personen, auch nach Kindern und Jugendlichen recherchieren, die in ihrem Viertel oder Dorf lebten, die vielleicht sogar in ihre Schule gingen oder in ihrer Straße wohnten. Diese lebensweltliche Nähe macht die kaum vorstellbare Shoah und die mitunter fern erscheinende Geschichte des Nationalsozialismus konkreter und greifbarer. So wird deutlich, dass diese Verbrechen nicht weit entfernt in Osteuropa stattfanden, sondern oft vor der eigenen Haustür begannen. Das ist das Potential für die pädagogische Praxis des Shoah Memorial Frankfurt.
Um was geht es bei dem Shoah Memorial Frankfurt?
Es ermöglicht nicht nur Schüler:innen und Interessierten auf der ganzen Welt nach Biografien zu recherchieren. Die Website macht Informationen zu mehr als 12.000 Menschen zugänglich, die in den Jahren 1933 und 1945 als Jüdinnen und Juden entrechtet, verfolgt, deportiert und ermordet wurden oder sich das Leben nahmen. Sie alle hatten einen lebensgeschichtlichen Bezug zu Frankfurt: sei es durch Geburt, Aufenthalt, Zuzug aus dem Umland, Deportation aus der Stadt und aus dem Exil.
In der Gestaltung nimmt das Shoah Memorial Frankfurt Bezug auf die Gedenkstätte Neuer Börneplatz, die an jede:n einzelne:n Ermordete:n mit einer Namensplakette erinnert, auf die vor Ort ein Stein gelegt werden kann, um der jeweiligen Person zu gedenken. Damit knüpfen wir an die jüdische Tradition an, wo es üblich ist, an die Toten zu gedenken, indem man einen Stein auf ihr Grab legt. Die Ermordeten der Shoah haben keine Gräber. Mit dem Shoah Memorial Frankfurt soll jedem einzelnen Menschen im digitalen Raum ein Grabstein gewidmet werden. Je mehr bisher über das Leben der einzelnen Personen herausgefunden werden konnte, desto dichter sind die Linien, aus denen der virtuelle Stein besteht.
Recherchetipps
Ausgehend von der Startseite lässt sich zufällig ein Stein anklicken. Es gibt auf dieser Ebene vier Möglichkeiten zu filtern: Beim Klick auf den Button #ONTHISDAY werden nur die Biografien derjenigen angezeigt, die heute Geburtstag hätten; beim Klick auf den Button JUNGE MENSCHEN werden nur die Biografien von Menschen gezeigt, die als Kinder und Jugendliche bis zum Alter von 18 Jahren verfolgt wurden. Auch nach BEKANNTEN PERSÖNLICHKEITEN kann gesucht oder das Geburtsjahr zusätzlich eingegrenzt werden.
Mit der Suchmaske lässt sich darüber hinaus gezielt in den Biografien nach Vor- und Nachnamen, nach Orten, Straßen, Schulen, aber z.B. auch nach Interessen suchen. Jugendliche können sich folglich ausgehend von ihrem eigenen Umfeld, ihren eigenen Interessen und ihren eigenen Fragen den Lebensgeschichten nähern. Es lohnt sich, die Suchbegriffe zu variieren: Denn es erscheinen jeweils andere Ergebnisse bei „singen“, „sang“, „Gesang“ oder „Lieder“. Auch bei „Motorrad“ und „Motorradfahrer“ werden unterschiedliche Biografien angezeigt.
Auch wenn es einen eigenes Suchfeld „Schule“ gibt, lohnt es sich den jeweiligen Schulnamen auch in der Volltextsuche einzugeben.
Klickt man einen der Namen an, die als Ergebnis angezeigt werden, erscheint der virtuelle Grabstein für die Person, grobe Lebensdaten und eine Beschreibung der Lebensgeschichte. Auch verwandtschaftliche Beziehungen sind nachvollziehbar. Von manchen Menschen sind heute nur noch wenige Lebensdaten bekannt. Auch diese Leerstellen sind ein Ergebnis der Shoah. Von anderen gibt es Fotos und zahlreiche Informationen. Sind die Informationen aus Täterquellen entnommen – z.B. Deportationslisten – oder gab es Angehörige, Freunde, die Auskunft geben konnten?
Das Glossar – bei jeder Biografie direkt verlinkt – ist relativ anspruchsvoll. Für die Mittelstufe sollten im Unterricht weitere Nachschlagemöglichkeiten angeboten werden.
Ausgangspunkte für weitere Nachforschungen
Die Quellen, aus denen sich die Informationen zu den Biografien speisen, sind genau angegeben. Die Online-Quellen können direkt aufgerufen werden. Dank der Digitalisierung des Bestands der Arolsen Archives erscheinen teilweise direkt Originaldokumente, die auch ausgedruckt werden können. Hier lässt sich also wunderbar Quellenarbeit im Klassenzimmer anschließen.
Um einen größeren historischen Zusammenhang herzustellen, bietet die Gedächtnisplattform www.frankfurt-und-der-ns.de weitere Informationsquellen.
Mitmachen
Die Webseite fordert dazu auf, selbst Informationen zu einzelnen Personen sowie Dokumente oder Fotos zu ergänzen - für den Fall, dass Nutzer:innen weiterführende Informationen besitzen, die uns nicht bekannt sind. Die Wahrscheinlichkeit, dass Jugendliche durch Archivrecherchen jedoch neue Erkenntnisse gewinnen und die Datenbank bereichern, ist eher gering. Neue Hinweise werden vom Redaktionsteam des Jüdischen Museums geprüft, bevor sie online gestellt werden.
Nehmen Sie Kontakt mit uns auf
Wir freuen uns sehr, wenn Sie Ihre pädagogischen Erfahrungen mit dem Shoah Memorial mit uns teilen. Wie sind Sie in der Bildungsarbeit mit der Website zurechtgekommen? In welcher Art und Weise haben die Rechercheergebnisse Eingang in den Unterricht gefunden?
Ab dem 1.2.23 können Sie einen regulären Workshop für Schulklassen und Jugendgruppen bei uns buchen, bei dem die Recherche mit der Datenbank im Zentrum steht.
Am 28.2.23 bieten wir eine Weiterbildung für Multiplikator*innen zum Shaoh Memorial und seine Nutzungsmöglichkeiten in der Bildungsarbeit an.
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