Gräberfeld auf dem Jüdischen Friedhof in der Rat-Beil-Straße

Der Jüdische Friedhof in der Rat-Beil Straße

Über einen der schönsten Begräbnisorte in der Rhein-Main Region
28. März 2025Anna Köhler

In diesem Blogbeitrag erfahrt ihr mehr über die Geschichte eines der schönsten Friedhöfe in der Rhein-Main-Region und findet Empfehlungen für einen Spaziergang an diesem ganz besonderen Ort.

Der alte jüdische Friedhof in der Rat-Beil-Straße 10 bildet den südlichen Abschnitt des Frankfurter Hauptfriedhofs. Er wurde seit der Schließung des alten jüdischen Friedhofs in der Battonnstraße von 1828 bis 1928 genutzt. Auf dem 74.000 m² großen Areal befinden sich heute ungefähr 30.000 Gräber unter großen, alten Bäumen.

Das prächtige Hauptportal von Friedrich Rumpf

Friedhofsportal des Jüdischen Friedhofs an der Rat-Beil-Straße
Das klassizistische Friedhofsportal des Jüdischen Friedhofs an der Rat-Beil-Straße, ein Werk des Frankfurter Architekten Friedrich Rumpf.

Noch bevor man durch ein metallenes Tor in der Frankfurter Rat-Beil-Straße auf den Friedhof gelangt, steht man knapp fünfzig Meter weiter westlich vor dem früheren Hauptportal der Analge. Es wurde im Jahr 1826 vom Frankfurter Architekten des Klassizismus, Friedrich Rumpf, entworfen und nach seinen Plänen erbaut. Manch einem von Euch mag der Name bekannt vorkommen: Derselbe Architekt wurde vom Baron Amschel Mayer Rothschild auch damit beauftragt, das Rothschild-Palais zu entwerfen, in dem heute das Jüdische Museum seinen Sitz hat.

Über dem Hauptportal steht in hebräischer Schrift geschrieben: „Der Friede wird kommen. Sie werden auf ihren Lagern ruhen und in seiner Anwesenheit wandeln/umherwandeln.“ (Jesaja 57:2) Heute ist das prächtige Hauptportal nicht mehr öffentlich zugänglich. Den Eingang zum Friedhof findet ihr 50 Meter weiter die Rat-Beil-Straße hoch bei einem metallenen Tor.

Auf dem ältesten Abschnitt des Friedhofs

Ältester Abschnitt des Jüdischen Friedhofs in der Rat-Beil-Straße

Sobald man den Friedhof über das versteckte Tor betritt und sich nach links wendet, befindet man sich auf dem ältesten Teil der Anlage. Hier sind die Gräber alle sehr ähnlich gestaltet und haben ungefähr die gleiche Größe. Kaum einer der Grabsteine hebt sich von den anderen ab. Die Ausrichtung der Grabsteine in Richtung Osten entspricht der Halacha, also dem jüdischen Religionsgesetz. Grundlage ist der Glaube daran, dass der Messias, wenn er irgendwann kommt, von Jerusalem aus kommt und die Auferstandenen mitnehmen wird. Deswegen liegen die Verstorbenen mit den Füßen in Richtung Jerusalem und schauen auch in diese Richtung.

Der Friedhof nach der jüdischen Aufklärung

Wendet man sich nun von diesem ältesten Teil des Friedhofs ab und blickt zurück Richtung Osten, dann merkt man, dass diese Vorschriften dort nicht mehr eingehalten werden. Die Grabsteine auf dieser Seite des Friedhofes weisen in alle möglichen Richtungen und sind teils pracht- und prunkvoll gestaltet. In diesem Bereich des Friedhofs sind verschiedene historisch bedeutende Personen begraben, etwa Mitglieder der weltberühmten Rothschild-Familie, deren Wurzeln in Frankfurt liegen. Der Begründer dieser Bankiersfamilie, Mayer Amschel Rothschild (1744-1812), wurde auf dem ältesten jüdischen Friedhof in Frankfurt, in der Battonnstraße, beigesetzt. Seine Ehefrau, Gutle Rothschild (1753-1849), geborene Schnapper, gebar ihm insgesamt zwanzig Kinder. Von diesen erreichten nur zehn Kinder, fünf Jungen und fünf Mädchen, das Erwachsenenalter. Zusammen lebten sie in der bedeutenden Frankfurter Judengasse, im Haus zum Grünen Schild. Hans-Christian Andersen schrieb in seinem Werk "Bilderbuch ohne Bilder" über Gutle Rothschild und ihre Rolle als Mutte und Geschäftsfrau.

Nachdem Mayer Amschel Rothschild verstarb, übernahmen seine fünf Söhne das Familienunternehmen. Diese wurden von ihrer Mutter in alle Teile Europas verheiratet: nach Wien, London, Paris und Neapel. Der Sohn Amschel Mayer Rothschild wurde neues Familienoberhaupt und blieb in Frankfurt. Nachdem er verstarb, wurde er auf diesem Teil des Friedhofs begraben. Die Ehe mit seiner Frau Eva Hanau blieb kinderlos, weshalb er vor seinem Tod seinen Neffen Mayer Carl von Rothschild (1820-1886) adoptierte, um die Familiennachfolge zu sichern. Sein Grabstein sowie der seines Bruders Carl Meyer von Rothschild ist pompös und reich verziert und hebt sich auch durch die Größe von den anderen Grabsteinen ab.

Jüdische Berühmtheiten auf dem Friedhof

Dieser Teil des Friedhofs, auf dem viele bedeutende jüdische Persönlichkeiten begraben sind, hebt sich stark von den vorherigen beiden Teilen ab. Das liegt vor allem daran, dass sich die Grabgestaltung auf jüdischen Friedhöfen im Laufe des 19. Jahrhunderts stark veränderte und sich der christlichen Grabgestaltung anglich. Dies ist etwa daran zu erkennen, dass die Grabsteine bei einigen der Gräber in diesem Bereich direkt auf dem Boden aufliegen und nicht mehr aufrecht stehen.

Ein Beispiel dafür ist das Grab von Henry Budge (1840–1928) und seiner Ehefrau Emma Budge (1852–1937), geborene Lazarus. Sowohl Henry Budge als auch seine Ehefrau waren bedeutende Kunstsammler, Stifter und Mäzene. Außerdem war Henry Budge Kaufmann und hatte Anteile an dem amerikanischen Bankhaus L. Hallgarten & Co. Beide besaßen nach auch die amerikanische Staatsbürgerschaft und hielten enge Beziehungen in die USA. Im Jahr 1920 gründete Budge die Henry-und-Emma-Budge-Stiftung, sowohl in Hamburg als auch in Frankfurt am Main. Diese Einrichtungen sollten für bedürftige Personen, vor allem „Damen aus gebildetem Stande“, unabhängig von ihrer Konfession eintreten. Das gemeinsame Wohnhaus von Henry und Emma Budge, das sogenannte „Budge-Palais“, wurde zu einem kulturell und gesellschaftlich bedeutenden Ort in Hamburg. Ihr gemeinsames Grab befindet sich auf diesem Teil des Friedhofs in der Rat-Beil-Straße und ist im Gegensatz zu den Familiengräbern der Rothschilds sehr schlicht gehalten und ähnelt einem christlichen Grab. Das liegt daran, dass der Grabstein der beiden auf dem Boden liegt und das Grab zu den anderen Gräbern abgegrenzt ist. Bis auf einen Segensspruch findet sich hier auch keine hebräische Inschrift.

Direkt daneben befindet sich das Grab von Paul Ehrlich (1854–1915), einem bedeutenden Mediziner und Forscher. Vor allem für seine Forschung zur modernen Chemotherapie erlangte er internationale Berühmtheit. 1909 entdeckte er zudem das erste Antibiotikum, nachdem er im Jahr zuvor mit dem Nobelpreis für Medizin ausgezeichnet worden war. Nach seinem Tod 1915 wurde er hier auf dem Friedhof in der Rat-Beil-Straße begraben. Seine Tochter Marianne Landau (1886-1963) wurde dort ebenfalls neben ihm begraben.

Gleich hinter den Gräbern der Budges befindet sich der Ehrengräberfriedhof für die im Ersten Weltkrieg gefallenen jüdischen Gemeindemitglieder mit seinen sorgfältig angeordneten Grabsteinen. Er wurde als besondere Gedenkstätte errichtet und ehrt die jüdischen Kriegsteilnehmer, die für Deutschland kämpften. Die Anlage symbolisiert sowohl die patriotische Verbundenheit der jüdischen Gemeinde zu Deutschland als auch die Tragik der einzelnen Geschichten. Wie auf Kriegsgräberstätten üblich, sind die Gränber alle sehr ähnlich gestaltet.

Wenn man sich nun vom Ehrengräberfriedhof abwendet und weiter dem Weg in Richtung XXXX (Himmelsrichtung?) folgt, gelangt man zu dem Grab von Bertha Pappenheim und ihrer Mutter. Bertha Pappenheim (1859–1936) war eine bedeutende jüdische Sozialreformerin und Frauenrechtlerin. Sie setzte sich besonders für die Rechte jüdischer Mädchen und Frauen ein und gründete 1904 den Jüdischen Frauenbund. In Frankfurt engagierte sie sich stark in der jüdischen Gemeinde und leitete das Israelitische Mädchenwaisenhaus. Ihr Einsatz galt vor allem der Bildung und Unterstützung benachteiligter jüdischer Frauen. Zudem kämpfte sie gegen den verbreiteten Mädchenhandel und engagierte sich für soziale Gerechtigkeit. Ihre Arbeit hinterließ ein bedeutendes Erbe in der jüdischen Wohlfahrtspflege. Wenn ihr mehr über Bertha Pappenheims Arbeit in der Wohlfahrtspflege in Frankfurt erfahren möchtet und dazu noch einen kleinen Spaziergang durch die verschiedenen Bezirke in Frankfurt machen möchtet, dann empfehlen wir euch die „Bertha Pappenheim Map“.

Wenn man sich nun ein paar Meter weiter von Bertha Pappenheims Grab entfernt, kommt man zu einem eher unscheinbaren Grab, das leicht zu übersehen ist. Doch der hier Begrabene war sehr bedeutend für die kulturelle Entwicklung Frankfurts: Karl Ettlinger (ca. 1880 – ca. 1940) war ein bedeutender jüdischer Schriftsteller und Satiriker unserer Stadt. Er prägte die literarische und gesellschaftskritische Szene der jüdischen Gemeinde. Besonders während des Ersten Weltkriegs reflektierte er in seinen humorvollen Texten die Herausforderungen der Zeit. Sein Wirken bot einen scharfsinnigen Blick auf die sozialen Missstände seiner Epoche. Neben seiner schriftstellerischen Tätigkeit engagierte er sich aktiv in der jüdischen Gemeinde. Sein literarisches Erbe liefert wertvolle Einblicke in die sozialen und politischen Umbrüche seiner Zeit. Überliefert sind u.a. zahlreiche Gedichte über Frankfurt, zum Beispiel das Gedicht "Der Sachsehäuser Berg".

Friedhof der Israelitischen Religionsgesellschaft

Abgegrenzt vom Rest des jüdischen Friedhofs befindet sich der Friedhof der orthodoxen Jüdischen Religionsgesellschaft in Frankfurt. Er wurde nach der Abwendung vom Reformkurs der Frankfurter Gemeinde und der Gründung einer eigenen orthodoxen Ausstegsgemeinde im Jahr 1851 gegründet. Er steht als Zeugnis der Rückbesinnung auf traditionelle jüdische Werte und Bräuche. Die Gründung des Friedhofs markierte einen wichtigen Schritt hin zu einer eigenständigen religiösen Identität. Auf dem Friedhof finden sich kunstvoll gestaltete Grabsteine, die das Leben der Verstorbenen und die Geschichte der Gemeinschaft widerspiegeln. Der Ort dient als stiller Raum des Gedenkens und der Erinnerung. Er erzählt von der bewussten Abkehr von reformierten Strömungen und einer neuen Hinwendung zu den jüdischen Traditionen. Bis heute ist dieser Bereich des Friedhofs ein bedeutendes Symbol der kulturellen und religiösen Eigenständigkeit der Jüdischen Religionsgesellschaft in Frankfurt.

Wenn man einmal quer über den Friedhof der Jüdischen Religionsgesellschaft geht, dann kommt man zu den Gräbern zweier bedeutender Rabbiner der Neu-Orthodoxie, die noch heute von Pilgern aus aller Welt aufgesucht werden: Raphael Hirsch (1808–1888) war ein wegweisender Rabbiner, Philosoph und Theologe, der als Begründer der „Torah im Derech Eretz“-Bewegung maßgeblich zur Erneuerung des orthodoxen Judentums in Deutschland beitrug. Seine Schriften und Predigten verbanden traditionelle jüdische Lehren mit den Herausforderungen der Moderne. Hirsch setzte sich intensiv dafür ein, eine Balance zwischen religiöser Tradition und kultureller Integration zu wahren und beeinflusste damit nachhaltig die Entwicklung der jüdischen Identität in Deutschland. Er verstarb im Jahr 1888 und hinterließ ein umfangreiches literarisches und theologisches Erbe.

Wenn man weitergeht und auf den freien Weg zwischen den Gräbern in nördlicher Richtung kommt, findet man eines der interessantesten Gräber. Dort steht ein Kasten mit Kerzen, in den man kleine Notizen, sogenannte „Kvitlech“, legen kann. In der chassidischen Tradition enthalten sie Gebete an den verstorbenen „Zaddik“ (Gerechten), der diese Gebete direkt an Gott weitergeben soll. Hier begraben ist Rabbi Israel von Stolin (1869–1921), ein einflussreicher chassidischer Rabbiner und Begründer der Stoliner Chassidim. Geboren in Stolin im heutigen Belarus, entwickelte er früh eine tiefe spirituelle Gesinnung. Sein Wirken prägte die Entwicklung der chassidischen Bewegung und zog zahlreiche Anhänger an. Er verband mystische Elemente mit traditionellen jüdischen Werten und schuf damit eine eigenständige Bewegung. Seine Lehren waren von tiefem Glauben und spiritueller Demut geprägt. Seine unermüdliche Hingabe an das religiöse Leben machte ihn zu einem Vorbild für viele. Auch nach seinem Tod lebt sein Vermächtnis in den Lehren und Traditionen der heutigen chassidischen Gemeinschaften weiter. Aufgrund eines Herzleidens kam Rabbi Israel von Stolin zu einem Kuraufenthalt nach Bad Nauheim nahe Frankfurt. Dort verstarb er überraschend und wurde hier auf dem Jüdischen Friedhof Rat-Beil Straße in Frankfurt beigesetzt.

Der jüdische Friedhof während und nach dem Zweiten Weltkrieg

Während des Zweiten Weltkriegs erlitt der jüdische Friedhof in Frankfurt einen verheerenden Bombenangriff, der viele Grabstätten zerstörte. Angesichts der Deportationen sahen sich zahlreiche Gemeindemitglieder mit einer qualvollen Entscheidung konfrontiert. Einige wählten den Freitod, um der erzwungenen Deportation zu entgehen, und fanden auf dem Neuen Jüdischen Friedhof in der Eckenheimer Landstraße ihre letzte Ruhestätte. Der Neue Jüdische Friedhof war 1928 in Betrieb genommen worden. Diese tragischen Schicksale spiegeln die Verzweiflung und den Widerstand einer bedrohten Gemeinschaft wider. Der Friedhof ist heute ein stiller Ort des Gedenkens und ein Mahnmal der Gräuel der NS-Zeit. Er erinnert an den Verlust von Menschenleben und an den unerschütterlichen Kampf um Selbstbestimmung. Jede dieser Grabstätte erzählt von einem individuellen Akt der Verzweiflung und des Mutes.

Nach dem Zweiten Weltkrieg und der Schoa kamen nur sehr wenige Frankfurter Jüdinnen und Juden zurück in ihre Heimatstadt. Die meisten wanderten aus. Diejenigen, die die Jüdische Gemeinde in Frankfurt wiederaufbauten, waren überwiegend osteuropäische Überlebende der Schoa. 1949 nahm die Jüdische Gemeinde in Frankfurt den Status einer Körperschaft des öffentlichen Rechts an und zählte zu dem Zeitpunkt 800 Mitglieder. Ab da nahm die Zahl der Gemeindemitglieder stätig zu und heute zählt sie knapp 7.000 Mitglieder.

Interviews in der aktuellen Wechselausstellung „Im Angesicht des Todes“

Filmstil aus dem Interview zu dem Friedhof in der Rat-Beil-Straße

Im Zusammenhang mit der Wechselausstellung „Im Angesicht des Todes“ entstand ein Interview-Projekt, in welchem Besucher: innen der Jüdischen Friedhöfe in Frankfurt interviewt wurden. Hier reden die Besucher: innen über das Thema Tod im Judentum und wie sie damit umgehen. Doch sie reden auch darüber, was sie dazu bewegt, diese besonderen Orte zu besuchen. In diesem Filmausschnitt aus den Interviews werden Besucher: innen auf dem Jüdischen Friedhof in der Rat-Beil-Straße befragt. Ihr könnt Euch den Film "Der gute Ort" zu dem Jüdischen Friedhof in der Rat-Beil-Straße auf YouTube anschauen.

Führungen über den Jüdischen Friedhof in der Rat-Beil-Straße

Wir bieten jeden ersten Donnerstag im Monat eine Führung über den Jüdischen Friedhof in der Rat-Beil-Straße an. Die Teilnahme ist kostenfrei, aber man sollte sich vorab über unseren Onlineshop anmelden. Außerdem bieten wir frei buchabre zweistündige Gruppenführungen über den Jüdischen Friedhof in der Rat-Beil-Straße an. Bitte meldet Euch dafür zwei Wochen im Voraus über diese Email-Adresse an: Besuch.JMF@stadt-frankfurt.de. Der Eintritt für die Gruppenführung kostet pauschal 150€.

Außerdem findet sich in unserer Museumsbibliothek, auch wegen der aktuellen Wechselausstellung „Im Angesicht des Todes“ im Jüdischen Museum, eine große Auswahl an Publikationen zum Thema Tod im Judentum und ebenfalls zu den jüdischen Begräbnisstätten in Frankfurt am Main.

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