Außenansicht des Jüdischen Museums Frankfurt

Jahresrückblick

Das Jahr 2021 im Jüdischen Museum Frankfurt
Porträt von Mirjam Wenzel
21. Dezember 2021Mirjam Wenzel

Zum Ende eines ereignisreichen Jahres wirft unsere Direktorin Mirjam Wenzel einen Blick zurück auf 2021.

Das Jahr 2021 begann für unser Team wie das vorherige geendet hatte: in einem gähnend leeren Museum. Um dennoch einen öffentlichen Zugang zu den neuen Ausstellungen, die wir in 2020 nur ganze elf Tage lang hatten öffnen können, und unserem neuen Museumskomplex am Bertha-Pappenheim-Platz 1 zu ermöglichen, begannen unsere Kurator*innen wöchentlich ein kuratorisches Mittagsgespräch live aus der Dauerausstellung zu senden.

Digitale Vermittlung

Eva Atlan und Mirjam Wenzel im Jüdischen Museum
In einer sechsteiligen Videoreihe unterhielten sich Museumsdirektorin Mirjam Wenzel und die damalige Sammlungsleiterin Eva Atlan über die wegen Corona geschlossene Ausstellung "Die Weibliche Seite Gottes", zu sehen auf YouTube.

Inmitten unserer ruhenden Museumsräumlichkeiten drehten wir zudem zahlreiche Videos, die sukzessive auf unserem YouTube-Kanal veröffentlicht wurden. Unsere Guides stellten ihre Lieblingsobjekte in den Dauerausstellungen beider Museen vor, meine Kollegin Eva Atlan und ich erörterten die kultur- und kunstgeschichtlichen Hintergründe der Wechselausstellung "Die weibliche Seite Gottes" und Volker Staab legte die architektonischen Grundgedanken des neuen Museumskomplexes dar. Darüberhinaus entwickelten unsere Kurator*innen eine Soundführung zu den Klängen der neuen Dauerausstellung, die auf Soundcloud zu finden ist.

Mit diesen und weiteren digitalen Angebote und unserem fortwährenden Storytelling auf Social Media gelang es uns, unsere Reichweite im Internet kontinuierlich auszubauen. Mittlerweile verzeichnen wir wöchentlich etwa 35.000 digitale Besuche auf unserer Website und unseren Social Media Plattformen – ein vielfaches mehr an Besucher*innen als wir vor Ort überhaupt empfangen könnten. Ein ungewolltes, aber beachtliches Ergebnis nach nunmehr knapp zwei Jahren digitaler Museumsarbeit unter den Vorzeichen physischer Kontaktbeschränkungen.

Interaktive Licht- und Farbprojektionen auf dem Museumsvorplatz

Lichtinstallation vor dem Jüdischen Museum Frankfurt
Teil der Lichtinstallation auf dem Bertha-Pappenheim-Platz waren Gedanken und Assoziationen unserer digitalen Besucher*innen zur Baumskulptur von Ariel Schlesinger.

Als wir im Frühjahr 2020 gewahr wurden, dass die Pandemie andauern und sich die Wiederöffnung des Museums verzögern würde, entwickelten wir zusammen mit Westermann Kommunikation eine interaktive Lichtinstallation, in deren Zentrum die Skulptur von Ariel Schlesinger auf unserem Museumsvorplatz stand. Auf das Fenster im unteren Foyerbereich wurde ein Video zur Entstehungsgeschichte der Skulptur projiziert und diese im Wechsel farblich in Szene gesetzt. Via Social Media fragten wir unsere Online-Community, was ihre Gedanken und Assoziationen zu der Skulptur sind. Die über 100 Antworten, die uns erreichten, projizierten wir mit Sound unterlegt in einer stetig wachsenden Zitatcollage auf die Außenfassade des Lichtbaus, so dass sich unser Museumsvorplatz in einen immersiven Farb- und Lichtraum verwandelte, der immer neue Perspektiven eröffnete.

Ein kurzer Lichtblick

Das abendliche Erlebnis zwischen 19 und 22 Uhr war ein wärmender Lichtblick in dieser trostlosen Zeit – ich habe ihn beinahe täglich als solchen wahrgenommen und genossen.

Im März stieg dann unsere Hoffnung auf eine baldige Öffnung unseres Museums. Wir justierten unsere Hygienemaßnahmen, arbeiteten die Aufsichten und die Guides erneut ein, entwickelten einen sukzessiven Öffnungsplan und freuten uns über die vielen Besucher*innen, die ab Mitte des Monats in unser Museum strömten. Das Glück währte nur zweieinhalb Wochen, dann zwang die dritte Infektionswelle uns erneut dazu, das Museum zu schließen.

1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland

Marina Weisband im Jüdischen Museum
Marina Weisband zu Besuch im Jüdischen Museum für die 3sat-Sendung "Museumschek", abrufbar in der ARD-Mediathek.

Während der kurzen Öffnungszeit besuchte uns das Team der 3sat-Sendung "Museumscheck" und drehte mit Marina Weisband einen schönen Bericht in unseren Räumlichkeiten, über den wir uns sehr gefreut haben. Im Laufe des Jahres folgten dann noch viele weitere Fernsehberichte, die zumeist im Rahmen des Festjahrs "1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland" entstanden oder sich mit einzelnen Aspekten und herausragenden Persönlichkeiten beschäftigten, wie etwa dem Maler Moritz Daniel Oppenheim oder der Familie Rothschild. Eine besonders gelungene Dokumentation über jüdische Geschichte auf dem Territorium des heutigen Deutschland fertigte der WDR unter dem Titel "Schalom und Hallo" mit Susan Sideropolous an.

Gespräche und Vorträge im Livestream

Wir selbst trugen zu dem Festjahr zwei internationale Symposien bei, die eine Teilnahme via Youtube ermöglichten, beginnend im März mit "Zwischenzeiten: Zur jüdischen Diaspora in Europa". Mit Unterstützung der Stiftung Erinnerung, Verantwortung, Zukunft richteten wir ein Studio im Museum ein und diskutierten von dort aus mit Referent*innen wie etwa Michael Brenner in Washington, Diana Pinto in Paris, Doron Rabinovici in Wien und Fania Oz-Salzberger in Tel Aviv über die Frage, ob Europa trotz des ansteigenden Antisemitismus noch immer ein kultureller und politischer Raum ist, in dem sich jüdisches Leben ebenso wie in den USA und in Israel entfalten kann.

Auf das Symposium, das als eine Reflexion über die Gegenwart konzipiert war, folgte im Oktober die wissenschaftliche Konferenz "Das jüdische Frankfurt von der Emanzipation bis zum Nationalsozialismus", die wir gemeinsam mit der Bildungsabteilung des Zentralrats und dem Martin Buber-Lehrstuhl für jüdische Religionsphilosophie veranstalteten. Sie widmete sich dem 19. und beginnenden 20. Jahrhundert, also jenem Zeitraum in dem Jüdinnen und Juden ein starkes Zugehörigkeitsgefühlt zu Frankfurt entwickelten und die Entwicklung der Stadt maßgeblich prägten.

Die sich in 2021 beständig verändernden Hygieneauflagen bescherten mir persönlich auch zweimal das Vergnügen, als einziger Gast im Raum den Gesprächen von Michel Friedman in der persönlich gehaltenen intellektuellen Reihe "Denken ohne Geländer" lauschen zu dürfen – etwa als Eva Menasse über ihren Unwillen reflektierte, das Wort „Heimat“ positiv zu besetzen. Sämtliche Gespräche in dieser Reihe finden Sie in dieser YouTube-Playlist.

Endlich offen!

Ende August konnten wir unsere zweite Wechselausstellung im neuen Jüdischen Museum eröffnen: "Unser Mut: Juden in Europa 1945-48".

Gegen Ende Mai war es dann endlich soweit: wir durften unser Museum erneut öffnen und sukzessive wieder Führungen und Veranstaltungen vor Ort durchführen. Auch wenn es uns gelungen war, die Leihgeber unserer ersten Wechselausstellung "Die Weibliche Seite Gottes" zweimal von der Verlängerung der Laufzeit zu überzeugen, mussten wir die bedacht kuratierte Konstellation aus wertvollen kulturgeschichtlichen Leihgaben und zeitgenössischen Kunstwerken dennoch über Monate hinweg abgedunkelt und unbesehen in den neuen Ausstellungsräumlichkeiten ruhen lassen. Die Ausstellung war nur knapp zwei Monate lang für Publikum geöffnet. Dass die Ausstellung in den letzten Tagen sehr gut besucht und weithin wahrgenommen wurde, hat uns ein wenig getröstet. Die Finissage fiel mit der erstmaligen Verleihung des Ludwig Landmann-Preises für Mut und Haltung an Saul Friedländer zusammen, die im Schauspiel begangen wurde und auf unserem Vorplatz bei strahlendem Sonnenschein ausklang.

Überhaupt erweis sich der Bertha-Pappenheim-Platz in den Sommermonaten als ein wunderbarer Ort für Festivitäten jedweder Art – etwa bei der Vernissage der Ausstellung "Unser Mut. Juden in Europa 1945-48", die hier bei Wein und Snacks ausklang. Diese von langer Hand vorbereitete Schau wirft erstmals einen dezidiert europäischen Blick auf die jüdische Nachkriegszeit. Die vielfältigen Geschichten und die persönlichen Objekte, die sie in einer sprechenden Ausstellungsarchitektur in Szene setzt, sind noch bis zum 18. Januar 2022 in unseren Räumen zu bestaunen.

Meine persönlichen Highlights

Seit geraumer Zeit arbeiten wir mit Kolleg*innen des Archäologischen Museums und des Künstlerhauses Mousonturm im Rahmen des Drittmittelprojekts METAHub daran, materielles Kulturerbe auf neue Arten und Weisen digital wie performativ erfahrbar zu machen. Im September war es dann endlich soweit: Unser viertägiges Event Mapping Memories machte auf der Gedenkstätte Neuer Börneplatz erfahrbar, was das sowohl materielle wie auch immaterielle Erbe des konkreten Ortes, insbesondere der Börneplatz-Synagoge ist. Mit einer architektonischen Intervention, mehreren Podiumsdiskussionen, Führungen und Performances sowie einer Depot-Installation mit den Resten des zerstörten Toraschreins erkundeten wir den Genius Loci und freuten uns über den großen Zuspruch von Anwohner*innen und interessierten Besucher*innen.

Projektleiterin Tanja Neumann wirft auf unserem Blog einen Blick zurück auf das viertägige Mapping Memories-Event auf dem Börneplatz, mit dem unser Projekt METAhub zum ersten Mal für die Öffentlichkeit sichtbar wurde.

Synagogenmodell auf dem Börneplatz Frankfurt

Neben diesen intensiven vier Tagen un den bereits erwähnten anderen besonderen Momenten hat mich das durchweg positive, teilweise begeisterte Feedback vieler Besucher*innen durch das wechselvolle erste Jahr unseres neu eröffneten Museums getragen. Es macht mir immer wieder Spaß, interessierte Gruppen durch die Ausstellungen zu führen oder spontan durch diese zu gehen und zu beobachten, wer sich an welcher Stelle Zeit nimmt, um sich intensiver mit einem Objekt oder einer Geschichte zu beschäftigen.

Mindestens ebenso genieße ich es, auf der Terrasse des FLOWDELI zu sitzen und Jugendlichen dabei zuzusehen, wie sie sich vor der Skulptur von Ariel Schlesinger in Szene setzen. Mittlerweile verbinden viele aus unserem Team mit dem FLOWDELI zudem Erinnerungen an schöne Abende – zuletzt etwa an unsere gemeinsame Chanukka-Feier. Ich selbst durfte hier auch die Literaturnobelpreisträgerin Olga Tokarczuk näher kennenlernen oder mich intensiv mit Cem Özdemir über Parallelen zwischen jüdischen und türkischen Traditionen unterhalten. Besonders genossen habe ich auch das gemeinsame Abendessen mit den Musikern Daniel Kahn und Christian Dawid und den anschließenden Rundgang durch die Ausstellung "Unser Mut", den die beiden dann in ihrem eindringlichen Konzert mit Musik aus den Displaced Persons Camps der Nachkriegszeit fortsetzten.

Soundinstallation von Talya Feldman im Jüdischen Museum Frankfurt
Blick in die eindrückliche Soundinstallation von Talya Feldman in unserer neuen Dauerausstellung.

Unter die Haut ging auch unsere diesjährige Lernnacht mit zwei künstlerischen Videoarbeiten, die um die Gegenwart rechtsterroristischer Gewalt kreisten. Seither ist für nunmehr ein Jahr die Soundinstallation "Nach Halle" von Talya Feldman in unserer neuen Dauerausstellung zu sehen, die Melodien und Stimmen aus der Synagoge von Halle in Szene setzt.  

Neue Konstellationen

Teamfoto des Jüdischen Museums
Unser Museumsteam auf dem Bertha-Pappenheim-Platz vor dem Jüdischen Museum.

Nicht nur die Pandemie zwang uns im vergangenen Jahr unsere Planungen immer wieder zu ändern. Auch der Weggang von Kolleg*innen hatte zur Folge, dass wir uns in Flexibilität üben und viele Kolleg*innen im Team temporär neue Aufgaben übernehmen mussten. Ich bin dankbar, stolz und glücklich, dass dies gelungen ist und wir nunmehr in neuen Konstellationen ein wenig enger zusammen gerückt sind.

Dass uns mit Werner d’Inka als neuem Vorstandsvorsitzenden und Theresa Gehring als neuer Geschäftsführerin der Gesellschaft unserer Freunde und Förderer seit Mitte des Jahres zwei zugewandte Menschen zur Seite stehen, stimmt mich noch zuversichtlicher für das kommende Jahr. Besonders freue ich mich auf die Zusammenarbeit mit Eva Atlan, die seit Anfang Oktober unsere neue Stellvertretende Direktorin ist. Ebenso herzlich begrüßen möchte ich unsere neuen Kolleg*innen in der Verwaltung, Alina Seefeldt und Christine Hahn, die sich dieser Tage beherzt um den Jahresabschluss kümmern, sowie unsere neuen Kolleg*innen im Bereich Bildung- und Vermittlung, Rifka Ajnwojner und Antje Thul, auf deren konzeptionelle Ideen ich sehr gespannt bin.

Ich bin mir sicher, dass es uns gemeinsam, achtsam und im Team gelingen wird, das Jüdische Museum Frankfurt auch im kommenden Jahr durch die Unwägsamkeiten der Gegenwart zu navigieren. Sie dürfen also gespannt sein – bleiben Sie einstweilen aber vor allem gesund!

Mirjam Wenzel

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