Joshua Gundlach ist Künstler, Entwickler und Spieledesigner aus Berlin. Mit "Sitting Shiva" hat er ein digitales Werk geschaffen, das thematisch sehr gut zu unserer aktuellen Ausstellung "Im Angesicht des Todes" passt. Mit ihm sprach unsere Kuratorin Sara Soussan.
Ist „Sitting Shiva“ ein klassisches Video-Game?
Sitting Shiva reiht sich in ein gut etabliertes Subgenre in der Videospielwelt ein: Walking Simulators ("Spaziergeh-Simulationen"). Diese Spiele, die sich durch minimale Eingaben und Interaktion mit der Spielwelt auszeichnen, laden zum Erkunden und Zuhören ein. Ich habe die Spiel-Interaktion bewusst so gewählt, weil sie meiner Erfahrung in Trauer am nächsten kam. Das Spiel stellt ein Zuhause dar, das ein Labyrinth wird. Raum und Zeit ergeben keinen Sinn, man tritt vom Wohnzimmer in die Küche, geht zurück und ist plötzlich im Badezimmer. Manchmal ist die Welt sehr klein. Manchmal ist die Welt gigantisch groß. Stühle werden in der Abwesenheit bewegt, Mahlzeiten erscheinen und verschwinden vom Tisch. Manchmal ist das Radio an, ohne dass man es angefasst hätte. Man sieht Schatten im Raum und immer wieder hört man jemanden traditionelle jüdische Lieder und Gebete singen.
Je weiter man geht, desto mehr fällt die Welt auseinander. Das "Ziel" des Spiels ist es, durch die Trauer den Ausgang zu finden.
Ein Walking Simulator zum Thema Trauer: Probiert "Sitting Shiva" von Joshua Gundlach am besten selbst einmal aus. Mehr über jüdische Vorstellungen und Praktiken rund um Sterben, Tod und Trauer erfahrt Ihr in unserer Ausstellung "Im Angesicht des Todes (bis 6. Juli im Jüdischen Museum Frankfurt).
Welche thematischen Schwerpunkte werden in der Arbeit gesetzt?
In dem Spiel geht es um Trauer, Ritual, Liebe und Judentum. Ich zeige Parallelen und Synergien zwischen diesen Aspekten. Shiva sitzen, also die 7tägige Trauerzeit nach einer Beerdigung, die man zu Hause verbringt und während der man von Verwandten und Freunden besucht wird, holt uns aus dem Alltag raus und zwingt uns zur Beschäftigung mit der eigenen Trauer. Die Liebe zu dem Verstorbenen macht die Gefühle so intensiv und stärkt den Schmerz. In einer Welt, in der erwartet wird, dass wir nach der Beerdigung sofort wieder funktionieren können, hat die jüdische Tradition eine Antwort und eine Vergewisserung: man ist in der Trauer nicht alleine. Im Spiel räumen ungesehene Helfer hinter einem her.
Immer wieder kommt das Kaddisch der Trauernden vor, ein Gruppengebet, das G'tt lobpreist. Anhand von Ritualgegenständen für den Schabbat, den wiederkehrenden Ruhetag, und für die Hawdalah, die Beendigung des Schabbat, kann man sich orientieren, wie viel Zeit vergangen ist und wie lange die Woche noch währt. Und ohne zu viel vorweg zu nehmen: am Ende des Spiels hört man das Lied "Adon Olam", ein traditionelles Lied zum Ausklang eines Gottesdienstes. Es ist bewusst sehr jüdisch.
Inwiefern spielen eigene Erfahrungen im Game eine Rolle?
Das Spiel entstand teils während der Covid-Pandemie in Zusammenarbeit mit meiner Studienklasse mit dem Museum für Sepulkralkultur. Für die Konzeption ließ ich mich von meinen eigenen Erfahrungen von Trauer beeinflussen, sowie von der abstrakten Trauer, mit der ich die Covid-Pandemie erlebte. Als mein Kater während der Pandemie verstarb, kamen viele der Gefühle wieder auf, die ich nach dem Tod meiner Großmutter vier Jahre zuvor nicht verarbeiten konnte.
Ich wollte das verlorene, aus der Welt gelöste Gefühl einfangen, als das ich Trauer erlebte. Ich dachte, ich sähe im Augenwinkel meine Großmutter am Küchentisch sitzen oder meinen Kater durch den Flur huschen. Daher kam meine Inspiration, ein künstlerisch abstraktes Spiel zu machen, in dem Raum und Zeit auseinanderfallen. Besonders inspiriert haben mich die Lithografie "Relativiteit" von E.C. Escher, sowie die Spiele "What Remains of Edith Finch" von Giant Sparrow und "Portal" von Valve.
Da das Projekt ohne Budget war, musste ich viel selbst umsetzen und somit auch viel lernen. Von den Liedern, die ich selbst eingesungen habe, bis hin zu der Programmierung habe ich alles selbst gemacht. Das Projekt hat mir viel zurückgegeben. Es war mein erstes fertiges 3D Spiel. Dadurch habe ich den Zugang sowohl in der Game- und Software-Welt gefunden, in der ich heute als Developer arbeite, sowie auch in die Welt der Filmfestivals und Museen. Emotional hat es mir geholfen, mit der Covid Pandemie und meiner eigenen Trauer umzugehen.
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Kol haKawod!
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