Zerstörtes jüdisches Europa
Europa war bis zur Schoa der wichtigste jüdische Kontinent. Dies ruft die Ausstellung zu Beginn ins Gedächtnis. 1945 ist die jüdische Kultur auf dem Kontinent unwiederbringlich zerstört. Für viele Überlebende bedeutet das Kriegsende die Fortsetzung von Flucht und Migration. Einige versuchen in ihre osteuropäische Heimat zurück zu kehren, finden dort jedoch keine überlebenden Verwandten, sondern feindlich gesinnte Nachbarn vor, die sich an ihrem Hab und Gut bereichert haben. Viele fliehen weiter gen Westen in die Displaced Persons Lager der US-amerikanischen Militärverwaltung. Ihr Ziel ist es meist, in das britische Mandatsgebiet Palästina oder in die USA zu gelangen.
Europa 1945
Die Situation der Jüdinnen und Juden in der unmittelbaren Nachkriegszeit ist sehr unterschiedlich. Sie hängt nicht nur damit zusammen, wo und wie sie den Zweiten Weltkrieg überlebt oder in welcher Einheit oder Partisanengruppe sie gekämpft haben oder wohin sie geflüchtet waren. Entscheidend ist auch, wie viele Verwandte und Freunde noch am Leben sind, wem sie zufällig begegnen und welche Hilfe ihnen zu Teil wird. Dabei spielt der Ort, an dem sie sich erneut oder vorübergehend niederzulassen versuchen, eine bedeutende Rolle.
Sieben Orte
Diese unterschiedlichen Voraussetzungen der Überlebenden zwischen Ost- und Westeuropa prägen die Ausstellung, deren Titel sich sowohl auf ein jiddisches Partisanenlied von 1943 als auch auf den Namen der Zeitung des DP-Camps Zeilsheim bei Frankfurt beruft. Im Hauptraum des neuen Wechselausstellungsbereichs finden sich sieben Installationen, die Städte und Landkreise in Europa porträtieren.
Frankfurt am Main oder (Ost-)Berlin stehen hierzulande weniger bekannten Städte gegenüber wie Białystok in Polen, wo vor dem Zweiten Weltkrieg mehr als die Hälfte der Bevölkerung jüdisch war, die Transitstadt Bari in Süditalien oder die Gegend um die niederschlesische Gemeinde Dzierżoniów, die nach 1945 für wenige Jahre zu einem jüdischen Hoffnungsgebiet in Polen wurde. Filme und Fotografien, Porträts und persönliche Objekte vermitteln einen sinnlichen Eindruck dieser Orte. Autobiografische Texte, gelesen von Ensemblemitgliedern des Schauspiel Frankfurts, ermöglichen es, jüdische Perspektiven unmittelbar nach dem Überleben an diesen Orten kennenzulernen.
Fluchtraum Europa
Zwischen diesen Orten finden sich diverse materielle Zeugnisse, die sich aus der Zeit der Flucht durch Europa in privaten und öffentlichen Sammlungen erhalten haben. Sie erzählen von der Suche nach Verwandten, der existentiellen Not der Überlebenden und Geflüchteten, von den ersten Dokumentationen und Formen des Erinnerns an den Massenmord sowie dem Versuch, an die Kultur der Vorkriegszeit anzuknüpfen und jüdische Traditionen wiederzubeleben. Und sie erzählen von den Anstrengungen, den Kontinent Europa zu verlassen. All die Zeugnisse bestätigen, dass jüdische Überlebende und Flüchtende nicht einer passiven Gruppe von Opfern angehörten, sondern ihr Leben selbst in die Hand nahmen und aktiv gestalteten.
Kunst und Öffentlichkeit
In den unmittelbaren Nachkriegsjahren erschienen auffällig viele Grafiken und Künstlerbücher zur Schoa. Die Quantität und die Wahl dieser Publikationsformen, die sich per se an eine breitere Öffentlichkeit richten, belegt, dass es den Künstlerinnen und Künstlern darum ging, öffentlich Zeugnis ablegen und einen Beitrag zum gesellschaftlichen Diskurs über den Völkermord an den europäischen Jüdinnen und Juden leisten.
Theater und Literatur
Die zahlreichen temporären Theaterensembles, vor allem in den Displaced Persons Camps der amerikanischen Besatzungszonen, richteten sich wiederum meist an die Flüchtlingsgemeinschaft selbst. Sie versuchten, Bilder, Töne, Sprache und Emotionen für das zu finden, was geschehen war. Darüber hinaus thematisierten sie die Gegenwart in den Transitlagern oder entwarfen und diskutierten erste Zukunftsszenarien. Die Sprache dieser Theateraufführungen wie auch der Literatur war das Jiddische. Als kultureller Ausdruck und sprachliches Transportmittel war es zur einzig verbliebenen Heimat geworden, was auch die rege jiddische Publikationsproduktion in der amerikanischen Zone Deutschlands mit mehr als einhundert unterschiedlichen Zeitschriften und rund dreißig Prosa- und Gedichtbänden in den Jahren nach 1945 bezeugt.
Wendepunkt 1948 – Partikulare und universelle Visionen werden real
Die Ausstellung erzählt bis in das Jahr 1948 und präsentiert einem Reflexionsraum zur neuen Internationalen Ordnung. 1948 ist in vielerlei Hinsicht ein Wendepunkt in der Nachkriegszeit: Europa wird zum Spielfeld des Kalten Kriegs. Im Mai endet das britische Mandat über Palästina. David Ben-Gurion, Israels erster Premierminister, stützt sich auf den Beschluss der neugegründeten UN-Vollversammlung zur Teilung dieses Gebiets und erklärt einen Teil dieses Territoriums zum unabhängigen Staat Israel. In kommenden Jahren werden hier knapp 400.000 jüdische Geflüchtete aus Europa aufgenommen. Im Dezember 1948 verabschiedet die Generalversammlung der UNO die Grundsätze eines neuen, internationalen Rechtsverständnisses: das Übereinkommen über die Verhütung und Bestrafung des Völkermordes und die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte. Beide Grundsätze werden maßgeblich von jüdischen Emigranten aus Europa vorbereitet und ziehen eine Lehre aus dem Massenmord an den europäischen Jüdinnen und Juden.
Führungen durch die Ausstellung und Begleitprogramm
Jeden Dienstag um 18 Uhr und sonntags um 11 Uhr bieten wir öffentliche Führungen durch die Ausstellung an. Jeden zweiten Sonntag im Monat findet die Führung in englischer Sprache statt. Sämtliche Termine finden Sie in unserem Veranstaltungskalender. Die Kosten sind im Museumseintritt inbegriffen. Teilnahme nur nach Anmeldung mit Ihren persönlichen Kontaktdaten unter: besuch.jmf@stadt-frankfurt.de. Gerne können Sie auch individuelle Touren durch die Ausstellung buchen, vor Ort oder digital via Zoom.
In Zusammenarbeit mit dem DFF – Deutsches Filminstitut & Filmmuseum, präsentieren wir während der Laufzeit der Ausstellung „Unser Mut. Juden in Europa 1945-48“ zudem ein vielfältiges Filmprogramm in beiden Einrichtungen. Zum Veranstaltungsprogramm
Konferenz und Katalog
Zur Ausstellung erscheint im De Gruyter Verlag ein reich bebilderter Katalog, sowohl in einer deutschen als auch in einer englischen Ausgabe. Er präsentiert zehn wissenschaftliche Beiträge namhafter internationaler Autorinnen und Autoren und zeichnet die Stadt- und Personenporträts der Ausstellung detailliert nach. Die Essays bauen auf Präsentationen der Konferenz "Building from Ashes. Jews in Postwar Europe (1945-1950)" auf, die das Jüdische Museum im Dezember 2017 gemeinsam mit dem Leibniz-Institut für jüdische Geschichte und Kultur – Simon Dubnow, dem Fritz Bauer Institut und der Goethe-Universität Frankfurt am Main veranstaltete.
Am Ende der Laufzeit der Ausstellung, vom 16.-18. Januar 2022, veranstaltet das Jüdische Museum gemeinsam mit der Jüdischen Akademie des Zentralrats der Juden in Deutschland die Konferenz „Displaced“, in der Themen der Ausstellung nochmals abschließend reflektiert werden.
Dank
Ausstellung, Konferenz und Katalog werden gefördert von:
Daimler
Kulturstiftung des Bundes
Hessische Kulturstiftung
Hannelore Krempa Stiftung
Nicolaus und Christiane Weickart
Gemeinnützige Hertie Stiftung
Stiftung Polytechnische Gesellschaft
European Association for Jewish Studies
Ausstellungsort:
Jüdisches Museum Frankfurt
Heute geschlossen
- Museumsticket (Dauerausstellung Jüdisches Museum+Museum Judengasse) regulär/ermäßigt12€ / 6€
- Kombiticket (Wechselausstellung + Museumsticket) regulär/ermäßigt14€ / 7€
- Wechselausstellung regulär/ermäßigt10€ / 5 €
- Familienkarte20€
- Frankfurt Pass/Kulturpass1€
- Am letzten Samstag des MonatsFrei
(ausgenommen Teilnehmer gebuchter Führungen)
- Eintritt nur Gebäude (Life Deli/Museumshop/Bibliothek)Frei
Freien Eintritt genießen:
Mitglieder des Fördervereins
Geburtstagskinder jeden Alters
Kinder und Jugendliche bis 18 Jahre
Studenten der Goethe-Uni / FH / HfMDK
Auszubildende aus Frankfurt
Geflüchtete
Inhaber von Museumsufer-Card oder Museumsufer-Ticket
Inhaber der hessischen Ehrenamts-Card
Mitglieder von ICOM oder Museumsbund
Ermäßigung genießen:
Studenten / Auszubildende (ab 18 Jahren)
Menschen mit Behinderung ab 50 % GdB (1 Begleitperson frei)
Wehr- oder Zivildienstleistende / Arbeitslose
Inhaber der Frankfurt Card
Bertha-Pappenheim-Platz 1, 60311 Frankfurt am Main